Mit Gefahrenplan steht Firmen Wasser bis zum Hals

Im Unterland gibt es massiven Protest gegen die neuen Gefahrenzonenpläne. Viele Unternehmen dachten bisher über Erweiterungen nach. Jetzt stehen sie in der roten Zone. Ihre Vertreter fordern, dass die Pläne neu berechnet werden.

Für einige Regionen Tirols gab es bisher keine Gefahrenzonenpläne. Zwar standen flussnahe Gebiete immer wieder unter Wasser, eine Kategorisierung gemäß Gefahrenzonenplan fehlte aber. Durch die Entwicklung dieser Gefahrenzonenpläne fanden sich deshalb Betriebe und Privatleute mit ihren Liegenschaften über Nacht in der roten Zone wieder. Mit weitreichenden Konsequenzen - wie ein Beispiel zeigt.

Entwicklung am status quo eingefroren

Die Firma Bonnevit erzeugt Brot und Gebäck für Hotels und Gastronomie. Der Betrieb wurde vor 30 Jahren mit vier Mitarbeitern in Mils bei Hall gegründet, mittlerweile beschäftigt er 50 Männer und Frauen in St. Gertraudi. Der Betrieb liegt am Ziller.

Der neue Gefahrenzonenplan stoppt in den Augen von Geschäftsführer Josef Erler den weiteren Ausbau: Über den Ankauf eines benachbarten Grundstücks werde jetzt nicht weiter nachgedacht, es liegt – wie das Unternehmen selbst – seit kurzem in der roten Zone und darf nicht bebaut werden. „Wenn sich das nicht ändert, werden wir uns einen anderen Standort suchen“, sagt Erler im ORF-Interview. Denn nicht das Hochwasser mache Probleme, sondern die Folgen des Gefahrenzonenplans. Die Versicherung habe bereits angekündigt, den Vertrag nicht mehr zu verlängern.

Bäckerei Bonnevit jetzt in der roten Zone in St. Gertraudi

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Mit dem Hochwasser kann sich die Bäckerei Bonnevit arrangieren, mit dem Gefahrenzonenplan nicht.

Multifaktorielle mathematische Berechnung

Was für Kritiker des Gefahrenzonenplans fiktive Annahmen und Hypothesen sind, ist für das Baubezirksamt Ergebnis komplexer Berechnungen mit vielen Faktoren. In die Berechnung der Gefahrenzonenpläne fließen dreidimensionale Geländedaten, bestehende Bebauung und weitere Daten ein. Für den Abschnitt Radfeld wurde der neue Gefahrenzonenplan in einen Film umgerechnet. Bei einem 100-jährigen Hochwasser würde die Überflutung gemäß dem neuen Gefahrenzonenplan so ablaufen:

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Sichtbar wird in dieser filmischen Umsetzung des Gefahrenzonenplanes, dass bei einem 100-jährigen Hochwasser zunächst nicht der verbaute Inn übergeht, sondern der Gießenbach in der oberen Bildhälfte. Dieser kann nicht in den Inn einfließen, staut sich deshalb zurück und setzt - in der Berechnung des Gefahrenzonenplanes - freigehaltene Flächen und Teile von Kramsach unter Wasser. Dann geht die Welle wieder zurück.

IG Inntal kritisiert Zonenberechnung

Für die Interessen derer, deren Liegenschaften durch den neuen Gefahrenzonenplan entwertet werden, setzt sich die IG Inntal ein. Auch Bonnevit-Geschäftsführer Josef Erler gehört ihr an. Die IG Inntal fordert eine Neuberechnung des Gefahrenzonenplans. Ein Kritikpunkt ist, dass im derzeitigen Plan die Wasserrückhaltemöglichkeiten der Zillertaler Kraftwerke nicht berücksichtigt sind. „Bei Hochwassergefahr“, so Erler, „könnten die Speicher große Wassermengen auffangen und den Ziller damit massiv entlasten.“ Im Oberland seien diese Rückhaltemöglichkeiten für die Gefahrenzonenpläne mitberechnet worden, so die IG Inntal.

Bestand seit 500 Jahren: Beweis oder Irrtum?

Ein weiterer Vorwurf an das Baubezirksamt der Landesregierung, die den Gefahrenzonenplan erstellt hat, ist, dass örtliche Chroniken und Aufzeichnungen von Feuerwehr und Bürgern keinen Eingang in den Plan fanden. Als Beispiel dient das sogenannte „Stofflhäusl“ in Reith. Das Gebäude existiert seit 540 Jahren und steht jetzt ebenfalls in der roten Zone. Für die Kritiker des Plans ein Indiz für die spekulative Qualität des Gefahrenzonenplans – rote Zone bedeutet eine Überflutung von mehr als 1,5 Meter oder eine hohe Fließgeschwindigkeit - „so gesehen dürfte das Haus schon längst nicht mehr da sein“, findet Josef Erler. Höher als knietief sei es noch nie überflutet gewesen.

450 Jahre altes Stofflhäusl in Reith

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Das Stofflhäusl war nie mehr als kniehoch überschwemmt, sagt die Ortschronik.

Behörde widerspricht Kritik

Die Tiroler Landesverwaltung weist die Vorwürfe der IG Inntal zurück. Die Zillertaler Kraftwerke als Rückhaltemöglichkeit zu berechnen sei unseriös, erklärt Hubert Steiner, Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft. „Das würde ein gleichzeitiges 100-jähriges Hochwasser am Ziller und am Inn voraussetzen und das wäre sehr, sehr unwahrscheinlich – zu unwahrscheinlich, um Grundlage einer Planung zu sein.“

Auch dem Vorwurf der Geringschätzung örtlicher Chronik und bisheriger Aufzeichnungen über das Verhalten des Wassers kann man im Baubezirksamt wenig abgewinnen. Die Umstände hätten sich geändert, Bebauung, Klimawandel und andere Faktoren führten heute europaweit zu Hochwässern, die früher nicht aufgetreten wären. „Die Daten zeigen einfach eine Steigerungstendenz, deshalb müssen wir die Werte so hoch ansetzen wie die Berechnungen es ergeben, auch wenn solche Werte bisher noch nie dagewesen sind“, sagt der Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft.

Hochwasser bestätigte neue Berechnungsweise

Wie nahe sich neuer Gefahrenzonenplan und Realität kommen, zeigt das Beispiel Kössen. Für die Region wurde 2007 der erste Gefahrenzonenplan nach den neuen Kriterien erstellt, 2013 kam das 100-jährige Hochwasser und überflutete exakt jene Gebiete, die in der roten Zone lagen, hoch und jene in der gelben Zone zum Teil. Durch markante Punkte sehen sich die Ersteller des Gefahrenzonenplans in der Präzision ihrer Berechnung bestätigt.

neuer Gefahrenzonenplan Kössen und Foto des 100-jährigen Hochwassers

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Links der Gefahrenzonenplan: der Bauernhof ist ein kleiner gelber Punkt im großen roten Bereich in der unteren Bildhälfte. Der höher stehende Bauernhof auf dem Luftbild rechts bestätigt die Berechnung der Behörde.

Unternehmen fordern politische Unterstützung

Die Wirtschaftstreibenden im Tiroler Unterland, wo die meisten neuen Gefahrenzonenpläne für Widerstand sorgen, fordern von der Politik Übergangslösungen. Sie wünschen sich, dass man in der roten Zone weiter expandieren darf, bis ein großräumiger Hochwasserschutz errichtet ist.

Ulrike Finkenstedt, tirol.ORF.at