Mit Autismus ganz normal im Berufsleben

Was braucht es, damit jemand mit ausgeprägtem Autismus einen regulären Arbeitsplatz bekommt? Ein kooperatives Unternehmen, maßgeschneiderte Vorbereitung und den eisernen Willen des Betroffenen. Ingomar L. aus Absam hat es geschafft.

Ingomar L. ist 39 Jahre alt und leidet an einer schweren Form des Autismus. Früher hatte er kaum Frustrationstoleranz: kam etwas anders als geplant, schlug er mit dem Kopf gegen die Wand oder sich selbst blutig. Konzentration oder still sitzen waren schwer möglich, oft lief er stattdessen herum, um sich mit einem Blick hinter die nächste und übernächste und überübernächste Ecke neu zu orientieren und Sicherheit zurückzugewinnen. Ingomar L. verbrachte fast sein ganzes Leben in Institutionen und lebt wegen seiner Krankheit in einer 24-Stunden-betreuten Wohngemeinschaft der Lebenshilfe.

IKEA Fundgrube autistischer Mitarbeiter

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In wenigen Minuten baut Ingomar Ikeas Bestseller zusammen.

Erstaunliche Entwicklung

Dass er bei Ikea heute einen regulären Arbeitsplatz hat, ist auch Ergebnis maßgeschneiderter Betreuung. Zwei Jahre lang trainierte Ingomar L. begleitet von Carmen Dankl von der Arbeitsorientierung der Lebenshilfe. Dabei ging es um Grundlegendes: wie bedient man ein Handy richtig, wie fährt man mit dem Bus, warum muss man Regeln einhalten? Immer wieder gab es Rückschläge. „Fuhr der Bus einmal einen anderen Kurs“, berichtet Carmen Dankl, „konnte es passieren, dass Ingomar so in Unruhe versetzt wurde, dass er sich wieder selbst verletzte.“

Vereinbarte Regeln einzuhalten war ein weiterer Schwerpunkt. Denn wenn Betreuerin Carmen Dankl mit Ingomar etwas ausmachte, war nicht selbstverständlich, dass Ingomar die Vereinbarung auch ohne Betreuerin einhielt. „Anfangs war es oft so, dass wenn ich weg war, dann war auch die Regel weg“, erzählt Dankl.

Möbelbauen in der Fundgrube

Ingomar L.s Willen, eine Arbeit zu finden, war unbeirrbar, seine Bereitschaft zu lernen, enorm. Dass jemand, der rund um die Uhr betreut werden muss, selbständig den Weg von Absam nach Innsbruck zu seinem Arbeitsplatz bewältigt und im Betrieb selbstständig arbeitet, hielten Skeptiker anfangs für unmöglich. Doch der Autist kämpfte sich Zentimeter um Zentimeter an seinen heutigen Arbeitsplatz heran.

Heute baut er bei Ikea Möbel zusammen, die dann in der Fundgrube verkauft werden. „Für unsere Abteilung ist Ingomar eine echte Entlastung“, berichtet ein Arbeitskollege, „weil er uns das Zeug zusammenbaut, wofür wir keine Zeit hätten.“ Ingomar kennt die meisten Möbelstücke mittlerweile fast auswendig. Dass er dennoch einen Bauplan aufschlägt und die Arbeitsschritte der Reihe nach ausführt, ist eine von vielen Regeln. Sie schützen vor dem Chaos, der Unruhe, der Strukturlosigkeit, mit der seine Krankheit lauert.

Immer Lust auf Schrauben und Krimskrams

Zu Hause, in der Wohngemeinschaft, kann Ingomar seiner Leidenschaft nachgehen. Fast manisch sucht er auf Flohmärkten und Bauhöfen nach Elektromüll, Schrauben, Ventilatoren und Geräten. In seiner privaten Werkstatt, einem drei mal drei Meter großen Raum, zerlegt er die Teile und ordnet sie neu. Für Außenstehende ein nicht nachvollziehbares Chaos, für Ingomar ein Ort der Beruhigung.

Ingomar arbeitet bei IKEA

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Auch hier zerlegt Ingomar Teile und baut sie neu zusammen, allerdings ohne sich an Regeln und Baupläne halten zu müssen.

Kooperativer Betrieb

Mit Ikea traf er auf ein entgegenkommendes Unternehmen. Der Betrieb gewährte Ingomar L. zunächst ein außerordentlich langes Praktikum mit niedriger Wochenstundenzahl für eine kontinuierliche, schleichende Eingewöhnung. Auch sonst hat das Unternehmen Engagement gezeigt. Als einem Arbeitskollegen von Ingomar auffiel, dass dieser oft die Schuhbänder der Arbeitsschuhe nicht zuband, kaufte man dem neuen Mitarbeiter kurzerhand Arbeitsschuhe mit Klettverschluss.

Heute arbeitet Ingomar L. 15 Wochenstunde auf einem nicht geförderten regulären Arbeitsplatz. Mit dem Gehalt möchte er sich eine Reise mit dem Orientexpress leisten. Die Chancen stehen gut.

„Tirol heute“-Beitrag von Ulrike Finkenstedt:

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