Asylpolitik „Armutszeugnis“ für EU

Die mangelnde Solidarität in der Flüchtlingsfrage ist laut dem früheren EU-Kommissar Franz Fischler ein „Armutszeugnis“ für die Europäische Union. Die Flüchtlingsproblematik ist übrigens auch beim Europäischen Forum Alpbach Thema.

Der frühere EU-Kommissar Franz Fischler beklagt im APA-Interview, dass es innerhalb der EU keine richtige „Flüchtlingspolitik“ gebe. Wobei man immer häufiger lese, die EU müsse etwas ändern. Doch: „In der Verantwortung sind hier in erster Linie die Mitglieder des Rates - sprich, die zuständigen Minister und die Regierungschefs. Wenn die nicht signalisieren, wir wollen die Flüchtlingspolitik gemeinsam bewältigen, dann ist es ja auch völlig umsonst, wenn die Kommission einen Vorschlag macht oder was sonst immer passiert.“

Grundsolidarität gegenüber Flüchtlingen fehlt

Es brauche „eine klare politische Willenserklärung, dass man bereit ist, an einer gemeinschaftlichen Lösung auch mitzuarbeiten und mitzuentscheiden. Das ist der Punkt“, betonte Fischler. Dass sich die Minister und Regierungschefs „leider auf nur sehr wenig verständigen“ könnten, stelle letztendlich „einen Verstoß gegen die europäische Gesinnung“ dar, „weil eines der Bauprinzipien der ganzen EU besteht ja aus Solidarität, und genau diese Solidarität ist momentan zu vermissen. Wenn eine gewisse Grundsolidarität gegeben wäre, würde es doch gelingen müssen, dass nicht nur einzelne wenige Staaten den größten Teil der Lasten, die mit der Flüchtlingsfrage verbunden sind, tragen müssen, und die anderen dabei zuschauen.“

Auch in Österreich fehlt Solidarität

Zur österreichischen Haltung hielt Fischler fest, diese sei in gewisser Weise „zwiespältig“: „Einerseits muss man schon fairerweise sehen, dass Österreich zu den wenigen Ländern gehört, die am stärksten belastet sind durch die Flüchtlingsfrage, also jedenfalls weit überdurchschnittlich belastet.“ Die Initiative müsse Brüssel ergreifen, so der Präsident des Europäischen Forum Alpbach. Die Situation innerhalb Österreichs vergleicht Fischler mit dem Drama innerhalb der EU: „Da gibt es die einen, die bereit sind, ihren Anteil an dem Problem zu tragen, und da gibt es die anderen, die aus welchen Gründen auch immer versuchen, sich da irgendwie herauszuhalten.“

Alle müssen Verantwortung übernehmen

Nach Ansicht des früheren EU-Agrarkommissars und Ex-ÖVP-Landwirtschaftsministers könnten weder Brüssel noch die Staaten das Thema allein bewältigen, „wenn sie nicht die Regionen bzw. die Gemeinden mit an Bord bekommen“. Wobei für Fischler das Problem im Grunde ein noch tiefergehendes ist: „Zur Zeit ist der Level an Toleranz und auch die Bereitschaft, auf andere Leute mit anderem kulturellen Hintergrund einzugehen, sich mit diesen auseinanderzusetzen, nicht im Steigen, sondern im Abnehmen begriffen. Der Bürgermeister sagt, meine Bürger in meiner Gemeinde wollen das nicht. Er hat ja Recht. Aber was wird getan, dass die Bürger das vielleicht doch wollen könnten?“

Europäisches Forum Alpbach 2015 größer denn je

In knapp zwei Wochen beginnt das Europäische Forum Alpbach, das heuer unter dem Generalthema „UnGleichheit“ steht und sein 70-Jahr-Jubiläum feiert. Forums-Präsident Fischler geht davon aus, dass es von der Zahl der Sprecher und Teilnehmer her „das größte Forum aller Zeiten“ sein wird. Vor allem würden mehr Sprecher und Moderatoren denn je erwartet - ihre Zahl gehe nach derzeitigem Stand in Richtung 800. Wobei es den Forums-Organisatoren nicht um ein Wachstum in Zahlen gehe, sondern um Qualität.

Flüchtlinge „über die Brennergrenze hinweg“

Fischler erwartet sich beim Forum unter anderem eine „spannende Debatte über die Flüchtlingsfrage“. Das Thema „Flüchtlinge über die Brennergrenze hinweg“ solle beim Tiroltag angesprochen werden. Zur Sprache gebracht werde aber auch die Frage der wirtschaftlichen Integration. Ungleichheit als großes politisches Thema wird laut Fischler unter anderem im Zusammenhang mit Griechenland und der Ukraine Diskussionsgegenstand sein. Es werde in Alpbach aber auch um Chancenungleichheit in der Wirtschaft, und um Ungleichheit in Verbindung mit Klima und Klimafolgen gehen.