Südtirol und die Option: Leidvoller Jahrestag

Angst und Zorn beherrschten 1939 die Tage vor Silvester in Südtirol. In den Familien wurde erbittert gezankt, geflucht und geweint. Am 31. Dezember 1939 endete die Frist für die Option.

Hinter dem wertneutral klingenden Ausdruck Option steckte ein verhängnisvolles Umsiedlungsabkommen, das Vertreter des Mussolini- und Hitler-Faschismus im Sommer 1939 in Berlin ausgeheckt hatten. Die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler mussten sich zwischen dem Verbleib in der italianisierten Heimat und der Auswanderung ins Deutsche Reich entscheiden.

Familienfoto als inszenierte Weltanschauung

Es war eine Wahl zwischen Pest und Cholera, die tiefe Seelenklüfte in die Gesellschaft riss. Emblematisch hierfür sind Familienfotos: Vater, Mutter und Kinder posieren vor der Linse des Propagandafotografen. Die einen zeigen sich stolz mit dem Konterfei des Führers, das sich unmittelbar neben einem Neugeborenen befindet, die anderen sitzen vor einer Wand mit markigen Mussolini-Parolen.

Südtiroler Familien zur Zeit der Option

privat

Il Duce: Der Hintergrund als zentrale Botschaft ...

Südtiroler Familien zur Zeit der Option

privat

...oder der Führer - auf einer Fotografie - als Teil der Familie.

Entzweiung belastet manche bis heute

In diesen Abbildungen spiegelt sich die Tragik der Entzweiung des Südtiroler Volks wider. Unter dieser nicht vernarbten Geschichte leidet Franz Thaler noch immer. Der frühere Federkielsticker aus dem Sarntal bei Bozen wird am 6. März 2015 neunzig Jahre alt. Seine Ablehnung des nationalsozialistischen Gedankenguts brachte ihn ins KZ nach Dachau. Sein Weg dorthin war schon im Optionsjahr 1939 vorgezeichnet: „Ganze Familien wurden von der Option auseinander gerissen. Mein Cousin war fürs Dableiben, sein jüngerer Bruder und die Mutter hingegen begeisterten sich für die Auswanderung ins Großdeutsche Reich.“

Option sortierte in „Nazis“ und „Walsche“

Diskutiert wurde vornehmlich in Gasthöfen und Bauernstuben. Thaler erinnert sich an eine Episode, die er auch in seinem Buch „Unvergessen“ erwähnt: „Einmal war ich bei einem Nachbarn zu Besuch. Dort wurde über eine Versammlung gesprochen.

Franz Thaler

de Giorgi

Franz Thaler

Bei dieser, so sagten die Männer, hätten viele fürs Dableiben das Wort ergriffen, darunter war auch Kanonikus Michael Gamper.

Zwei Männer entschieden sich, die Formulare fürs Dableiben zu unterschreiben. Das waren mein Onkel und mein Vater.“ Die Tatsache, dass sein Vater kein Bekenntnis zu Hitler, dafür aber eines zu seiner Heimat abgelegt hatte, brachte Franz Thaler Spott ein. „Von vielen wurde ich daraufhin als ,walscher Fock’ (italienisches Schwein) gehänselt. Das tut mir auch jetzt noch sehr weh.“

Zoderer am Boden eines Innsbrucker Wirtshauses

Eine Zäsur war die Option auch für Südtirols wohl bekanntesten Schriftsteller: Joseph Zoderer verließ seine Geburtsstadt Meran im zarten Alter von vier Jahren. „In einem Wirtshaus in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße wurden wir im Jänner 1940 wie Ware zwischengelagert.

Josef Zoderer

Max Lautenschläger

Joseph Zoderer

Betten gab es keine, daher mussten wir auf dem Boden schlafen. Später setzten wir unsere abenteuerliche Reise fort und landeten schließlich in Graz. Die erste Unterkunft fanden wir in den leer stehenden Klassenräumen des Priesterseminars, wo wir zwischen den Schulbänken schliefen.“

Bei seinen Eltern machte sich in der Steiermark Unbehagen breit: „Ihnen haben nach dem Verlassen Südtirols die Knochen und die Seele wehgetan. Alles, was sie geliebt hatten, mussten sie zurücklassen. Das Wehklagen über die Fehlentscheidung des Auswanderns war so etwas wie eine Begleitmusik meiner Kindheit.“

Totgeschwiegenes Kapitel Südtiroler Geschichte

Auf dem Papier sprachen sich bis Ende 1939 rund 86% der Südtiroler (mehr als 200.000 Personen) fürs Auswandern aus. Bis 1943 verließen 75.000 Menschen ihre Heimat – 25.000 kamen nach Nordtirol und Vorarlberg. Die vielen Südtiroler-Siedlungen im Bundesland Tirol sind auch heute noch ein beredtes Zeugnis dieser Umsiedlung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Option in Südtirol totgeschwiegen. Alte Nazis und Options-Eiferer schlüpften unter den Gnadenmantel der Politik. Der ethnische „Fetischismus der Einheit“ (Günther Pallaver) war der regierenden SVP wichtiger als die Aufarbeitung einer vom Hass geprägten Geschichte.

Auch heute noch ziehen sich Gräben des Schweigens durch viele Familien. Franz Thaler glaubt, dass sie nicht zugeschüttet werden können: „Das bringst du nicht fertig. Die Gräben werden bleiben, weil die Option ein innerliches Problem ist. Sie löst einen Schmerz der Erinnerung aus. Der vergeht einfach nicht.“

Patrick Rina, tirol.ORF.at

Buchhinweis

Kindl, Miori, Rina, Rosani, Volgger: „Le Opzioni rilette. Die mitgelesenen Briefe“. La Fabbrica del Tempo/Die Zeitfabrik. 199 Seiten.