Historikerkommission: Keine Euthanasie in Hall

Eine Historikerkommission hat keine Hinweise gefunden, dass in der Psychiatrie in Hall in Tirol systematische Euthanasie stattgefunden hat. Tötungen oder das Herbeiführen oder Zulassen eines „schnellen Todes“ könne hingegen nicht ausgeschlossen werden, hieß es im Bericht.

Untersucht wurden die Hintergründe für ein Grab, in dem von November 1942 bis April 1945 insgesamt 228 Menschen bestattet wurden. Geprüft wurde, ob die Toten Opfer von „systematisch geplanter dezentraler Euthanasie“ geworden sind - mehr dazu in Hall: Historiker suchen weiter. Die historischen, sozialwissenschaftlichen, archäologischen, anthropologischen und medizinischen Untersuchungen hätten keine Belege dafür geliefert, erklärte der Vorsitzende der Kommission, der Historiker Bertrand Perz bei einer Pressekonferenz in Hall am Dienstag. „Laut den Quellen dürften die Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt Hall nicht bereit gewesen sein, Patienten direkt in der Anstalt mit überdosierten Medikamenten zu töten“, sagte Perz.

Psychiatrie Hall Abschlussbericht Kommission

ORF/Unterweger

Brigitte Kepplinger, Vorsitzender Bertrand Perz und Elisabeth Dietrich-Daum.

Anstaltsleiter ließ sich nicht zu Mord motivieren

Es habe zwar immer wieder Vorstöße aus der Gesundheitsverwaltung in der Reichsstatthalterei im Gau Tirol-Vorarlberg gegeben, in Hall Tötungen durchzuführen. Dass der Leiter der Anstalt Ernst Klebelsberg einen Schritt hin zum Patientenmord gemacht hätte, lasse sich aber nicht belegen. Zudem hätte für Gauleiter Franz Hofer die „dezentrale Euthanasie“ keine politische Priorität gehabt, erläuterte Historikerin Brigitte Kepplinger: „Und ohne eine Befürwortung beziehungsweise Duldung durch die Gauleitung wäre ein systematischer Patientenmord nicht durchführbar gewesen“.

Miserable Krankenversorgung ideologisch begründet

In der zweiten Kriegshälfte ist die Sterblichkeit in der Anstalt in Hall laut Perz stark angestiegen. Habe sie 1938 noch 4,4 Prozent betragen, sei sie von 7,3 Prozent im Jahr 1943 über 13 Prozent im Jahr 1944 auf 21 Prozent im Jahr 1945 angestiegen. Dieser Anstieg sei auf die schlechten Bedingungen wie mangelnde Ernährung, medizinische Unterversorgung, Kälte und Raumnot sowie eine generelle pflegerische Unterversorgung zurückzuführen. Die „eklatante Unterversorgung“ sei nur zum Teil kriegsbedingt gewesen, erklärte Perz, zum Teil sei sie auf die „ideologisch begründete bewusste Benachteiligung“ von psychiatrischen Patienten während der NS-Zeit zurückzuführen. „Die Möglichkeit ihres Todes wurde dabei in Kauf genommen“, meinte der Historiker.

Städtischer Friedhof war bald zu klein

Der Grund, warum man auf dem Anstaltsgelände einen Friedhof angelegt habe, sei „relativ banal“, schilderte Perz. Auf dem städtischen Friedhof habe sich der Platzmangel nämlich im Sommer 1942 verschärft. Der im Herbst 1942 angelegte Anstaltsfriedhof sollte bis zur Errichtung eines neuen kommunalen Friedhofs den verstorbenen Patienten Platz bieten. Nach 1945 geriet er immer mehr in Vergessenheit. In den 1950er-Jahren setzte schließlich der Verfall des Friedhofes ein, ehe Anfang der 1960er-Jahre Obstbäume auf dem Gelände gepflanzt wurden. Entdeckt wurde er schließlich Anfang 2011 im Zuge von Umbauarbeiten.

Von den 228 auf dem Anstaltsfriedhof bestatten Personen seien rund 60 Prozent männlich. Knapp die Hälfte der Toten stamme aus Tirol, rund ein Viertel aus Vorarlberg und ein Fünftel aus Südtirol. Die anderen Verstorbenen verteilen sich auf unterschiedliche Herkunftsregionen. Alle Indikatoren würden aus archäologischer Sicht für einen „regulären christlichen Friedhof“ sprechen, sagte der Kommissions-Vorsitzende.

Die Ergebnisse der Historikerkommission liegen in einem zusammenfassenden 400-seitigen Schlussbericht vor. Einzelergebnisse sollen in vier weiteren Folgebänden publiziert werden.