Expertenstreit um Fernpass-Bergsturz
Der Chef der Tiroler Landesgeologie Gunther Heißel hatte gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Wolfram Mostler beim Geoforum Umhausen die These präsentiert, dass die Landschaft am Fernpass nicht durch einen Bergsturz, sondern durch Gipskarst geprägt sei – mehr dazu in Fernpass-Bergsturz hat es nie gegeben. Zu der Auffassung gelangte man unter anderem nach Lasermessungen von einem Flugzeug aus, bei dem man Strukturen entdeckt haben soll, die denen anderer Gipskarstgebiete entsprechen.

Uni Innsbruck
Bernhard Fügenschuh
Gipskarsthypothese gab es früher schon
Der Geologe und Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften, Bernhard Fügenschuh, hält von dieser Interpretation nichts. Der Fernpass-Bergsturz sei vielfach wissenschaftlich untersucht worden und zweifelsfrei ein Bergsturz. Gerade in den letzten Jahren habe man den Bergsturz im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts umfangreich bearbeitet, dabei habe man die Modellvorstellungen zum Bergsturz noch verfeinern können. Auch das Ablagerungsgebiet sei eingehend untersucht worden.

Uibk/alpS
Die Abbruchkante ist für Fügenschuh nur durch einen Bergsturz erklärbar
Die Gipskarsthypothese sei schon vor über 100 Jahren diskutiert worden. Die Forschung habe aber gezeigt, dass es sich um einen Bergsturz handle, der von einer Ausbruchsnische westlich der Passhöhe stamme. Die Bergsturzmasse habe sich dann in zwei Ästen bis in das Gurgltal beziehungsweise das Leermoser Becken verteilt.
Übereinstimmende Altersdatierungen
Der Bergsturz sei gerade in den letzten Jahren eingehend untersucht und kartiert worden, mit drei unterschiedlichen Methoden habe man ein Alter von 4.200 Jahren bestimmen können. Damit entspreche er vom Alter etwa dem Tschirgant-Bergsturz und dem Eibsee-Bergsturz bei der Zugspitze. Auslöser dieser Bergstürze könnten Klimaschwankungen oder Erdbeben gewesen sein.

Uibk/alpS
Blick vom Standpunkt oberhalb der Abbruchkante in Richtung Fernpass
Die eiszeitlichen Schotterablagerungen im Bergsturzgebiet würden nicht auf eine Überfahrung durch Gletscher hinweisen, sondern seien vom Abbruchgebiet des Bergsturzes mittransportiert oder auch während des Sturzvorgangs vom Talboden aufgeschürft worden. Die Bildung der stark gegliederten Bergsturz-Landschaft mit ihren Wällen, Gräben, kegelförmigen Hügeln und in Mulden eingebetteten Seen sei auf ein Zergleiten der Schuttmassen während des Bergsturzes zurückzuführen.
Trichter kein Hinweis auf Gipskarst
Die Trichtererscheinungen, die für Heißel ein Ergebnis von Gipskarst sind, interpretieren die Forscher der Universität Innsbruck anders. Diese Trichter würden sich bilden, wo die Bergsturzmasse stärker vom Grundwasser durchströmt sei und feine Gesteinszerreibsel im Untergrund ausgewaschen würden. Ähnliche Erscheinungen kenne man auch von anderen Bergstürzen. Seismische Messungen am Fernpass hätten außerdem gezeigt, dass die Bergsturzmasse dort mehrere hundert Meter dick sei.

GeoAlp, 2006
Die Bergsturzmasse ergoss sich in zwei Ästen nach Norden und Süden

ORF
Gunther Heißel
Heißel zeigt sich verwundert
Der Tiroler Landesgeologe Gunther Heißel reagiert auf die Kritik verwundert. Die Tatsache, dass am Fernpass Gips vorliege und man das mit anderen Gipskarstgebieten eins zu eins vergleichen könne, sei bisher nicht gewürdigt worden. Daher sei es nicht verwunderlich, dass man zu anderen Ergebnissen komme. In Hinblick auf einen möglichen Fernpass-Tunnel sagte Heißel, in der angewandten Geologie seien Prognosen über vermutete Gebirgsverhältnisse so zu stellen, dass sie der Realität so nahe wie möglich kommen. Es sei keine Schande, gescheiter zu werden, so Heißel.