Gutachten entkräftet Nazi-Gemeinde-Enteignung

Die von der Opposition massiv kritisierte Übertragung von Gemeindegut auf Agrargemeinschaften in Osttirol während der NS-Zeit war nicht „NS-typisch“. Zu diesem Schluss kommt ein vom Land Tirol beauftragter Historiker.

Die Landesregierung hat den Historiker Roman Sandgruber, Vorstand des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz mit einem Gutachten beauftragt. Sandgruber war von der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg vorgeschlagen worden, nachdem die Liste Fritz und die Tiroler Grünen im Frühsommer Dokumente präsentiert hatten, wonach die Strategie, Gemeinden ihr Eigentum quasi im Drei-Stunden-Takt abzunehmen, auf die Nationalsozialisten zurück geht - mehr dazu in Nazis „erfanden“ Gemeindegutenteignung. Diese Methode habe in Osttirol ihren Anfang genommen, so der Vorwurf der Opposition.

„Bauern nicht Täter, sondern Opfer“

In seinem Gutachten, das am Dienstag präsentiert wurde, kommt Sandgruber zu dem Schluss, dass nicht der damalige Agrarbehördenleiter von Osttirol zugunsten einiger Bauern die Gemeinden enteignet habe, sondern dass umgekehrt das NS-Gesetz versucht habe, den Bauern ihr Eigentum zu entziehen und den Gemeinden einzuverleiben, betonte er bei einer Pressekonferenz in Innsbruck.

„Agrargemeinschaft war Rettungsversuch“

Der damalige Leiter der Agrarbezirksbehörde, Wolfram Haller, habe versucht, durch die Umwandlung in Agrargemeinschaften das Gemeindegut dem Zugriff der nationalsozialistischen Zentralbehörde zu entziehen, erklärte Sandgruber. Denn im Gegensatz zu Hallers Vorgehen sei es während der NS-Herrschaft Ziel gewesen, alle Untergliederungen den Gemeinden einzuverleiben. So sei nach der Installierung eines Bürgermeisters der Zugriff der Partei gesichert gewesen, argumentierte der Historiker. In Osttirol war das nicht der Fall.

Steixner fordert Entschuldigung

Landeshauptmannstellvertreter Anton Steixner (ÖVP) sah in dem Gutachten eine Bestätigung und kritisierte das Vorgehen der Opposition vehement. „Man kann dem Bauernstand manches vorhalten, aber nicht, dass sie Nutznießer des Nationalsozialismus gewesen sind“, so Steixner: „Ich erwarte mit jetzt eine Entschuldigung der Opposition bei den bäuerlichen Familien“.

Der für die Gemeinden zuständige Landesrat Johannes Tratter (ÖVP), hob hervor, dass man nach den Vorwürfen, die eine neue Dimension in der Agrargemeinschaftsdebatte bedeuteten, „rasch und verantwortungsvoll reagiert“ habe. Mit Sandgruber habe man einen Historiker von „untadeligem Ruf“ beauftragt, der nicht aus Tirol kommt. Sandgruber war von 1998 bis 2003 auch Mitglied der Österreichischen Historikerkommission, die im Auftrag der österreichischen Bundesregierung den Vermögensentzug während der NS-Zeit erforschte.

Komplexe historische Ausgangslage

Die "Haller’schen Verträge“ hatten zunächst für Diskussionen in Osttirol gesorgt und wurden in weiterer Folge auch Thema im Landtag. Bei rund 130 Gemeinden habe es während des Dritten Reiches Grundstücksverschiebungen von Gemeindebesitz zu Agrargemeinschaften gegeben. Die Tiroler Oppositionsparteien Liste Fritz - Bürgerforum Tirol, FPÖ und Grüne forderten unter anderem eine Aufarbeitung im Landtag, die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden reagierten skeptisch - mehr dazu in Verhaltene Reaktion auf „Unrechtsakten“.

Opposition: „Gutachten entkräftet Kritik nicht!“

Für die Liste Fritz – Bürgerforum Tirol widerlegt das Gutachten die damaligen Aussagen nicht. „Fakt bleibt, dass das NS-Regime die Osttiroler Gemeinden ersatzlos enteignet hat. Fakt bleibt, dass das offenkundig verfassungswidrig war, was inzwischen höchstgerichtlich klargestellt ist. Fakt bleibt, dass während der NS-Zeit in Osttirol alle maßgeblichen Stellen, einschließlich der Gemeindeaufsichtsbehörde, beschlossen haben, das gesamte Gemeinde- und Fraktionsgut flächendeckend zu beseitigen und ins Eigentum der Agrargemeinschaften zu übertragen", erläuterte Landtagsabgeordneter Andreas Brugger.

In ein ähnliches Horn stoßen die Grünen. "Was wir als Opposition kritisiert haben, ist die Arbeitsweise von Dr. Haller. Er hat in wenigen Tagen das Gemeinde- und Fraktionsgut in Osttirol zu den Agrargemeinschaften hin verschoben. Das war nur durch die Gleichschaltung aller Behörden möglich. Eine solche Gleichschaltung war nur im NS-Unrechtsstaat möglich“, begründete Abg. Georg Willi seine Position.

Nach 1945 habe diese Art der Regulierung – weg von den Gemeinden, die im Grundbuch standen, hin zu neu gegründeten Agrargemeinschaften, die ins Grundbuch kamen – in Nordtirol seine Fortsetzung gefunden. "Genau das ist der große Vorwurf an die ÖVP, dass sie dieses Haller’sche Denkmuster übernommen und nach dem 2. Weltkrieg fortgesetzt hat,“ ergänzte Willi.