Auch in Innsbruck Versuche an Heimkindern

Ein Historiker hat aufgedeckt, dass in den 70er Jahren in Innsbruck in der psychiatrischen Behandlung Röntgenstrahlen und Mittel aus der Tiermedizin verwendet wurden. Betroffen waren - wie in ähnlichen Fällen in Wien - vor allem Heimkinder.

Sogar unter zehnjährige Mädchen seien niedergespritzt worden, sagte der Historiker Horst Schreiber gegenüber dem Ö1-Morgenjournal. Mit Epiphysan sei ein Mittel eingesetzt worden, das in der Tiermedizin ursprünglich zur Vermeidung von Brunftverhalten bei Kühen getestet wurde und als gesundheitsschädlich bekannt ist. Gerechtfertigt wurde diese Form der Behandlung mit der Behauptung, die Mädchen würden „onanieren“ oder seien „sexuell übererregt“.

Mitglied der Heim-Untersuchungskommission

Schreiber war Initiator und Mitglied der Heim-Untersuchungskommission in Tirol. Sein Vorwurf richtet sich in erster Linie gegen die bereits verstorbene Psychiaterin Maria Nowak-Vogel, die als langjährige Leiterin der Innsbrucker Kinderpsychiatrie bis Ende der 70er Jahre Epiphysan angewandt habe, "weil sie einen Kreuzzug führte gegen die Onanie und gegen sexuelle Überregtheit“, so Scheiber.

„Behandlung“ mit Röntgenstrahlen

Nowak-Vogl war laut Schreiber geprägt durch streng katholisches Denken und andererseits durch den Nationalsozialismus. In dessen Tradition stehe die Röntgenbehandlung, die sie auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch angewandt habe. Schreiber: „Nowak-Vogl beschreibt selbst den Fall eines Fünfjährigen, den sie mit einer Serie von Röntgenstrahlen behandelt hat, wegen des Jähzorns, den er an den Tag legte.“

In welchem Ausmaß und wie lange Nowak-Vogl Röntgenstrahlen als vermeintliche psychiatrische Therapie anwandte, sei aber noch wenig erforscht, die Krankenakten müssen erst durchforstet werden, sagt Schreiber.

Psychiaterin prägte Umgang mit Heimkindern

Betroffen von all dem waren laut Schreiber vor allem Heimkinder. Und Nowak-Vogl sei „eine der Schlüsselfiguren mit ihren Gutachten und Diagnosen“ gewesen, um Kinder in Heimen unterzubringen. „Sie äußert auch sehr oft die Frage, ob diese Kinder jemals vollwertige Menschen werden können.“ Die Psychiaterin und Pädagogin, die bis 1987 Leiterin der Kinderpsychiatrie war, habe auch den erzieherischen Umgang mit Heimkindern in Tirol geprägt: etwa Bestrafungen und brutales Bloßstellen von Bettnässern gegenüber anderen Kindern, Klingelbetten gegen Bettnässen - auch noch zu einer Zeit, als anderswo humanere Methoden angewandt wurden.

Zeitgebundene Problematik

Hartmann Hinterhuber, bis vor kurzem Psychiatrie-Chef in Tirol, sagte gegenüber dem ORF, für ihn sei die angebliche Anwendung von Röntgenstrahlung völlig unverständlich. Die aus heutiger Sicht indiskutablen pädagogischen Ansichten Nowak-Vogls bedaure er, aber sie seien ebenso wie die Ablehnung von Onanie „Mainstream“, also allgemeine Sichtweisen, gewesen. Schließlich sei Nowak-Vogl 1972 von der geisteswissenschaftlichen Fakultät zur außerordentlichen Professorin ernannt worden. Laut Schreiber wurde das Mittel Epiphysan seines Wissens nur unter Nowak-Vogl angewandt.

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