Lech Walesa
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Politik

Lech Walesa ruft zu Propagandakampf auf

Der frühere polnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa hat am Freitag in Innsbruck zu einem Propagandakampf in Russland gegen die derzeitige Führung aufgerufen. Die USA rief er zu größeren Waffenlieferungen an die Ukraine auf.

Man sollte versuchen, jeden einzelnen Russen zu überzeugen, dass sie in einem falschen System leben und selber daran gehen, das zu ändern – wie es ihm seinerzeit mit seiner Revolution gegen das kommunistische Regime in Polen und des darauffolgenden Falles des Eiserner Vorhanges gelungen sei, erklärte der Gründer und frühere Vorsitzende der Gewerkschaft Solidarność.

Menschen in Russland sensibilisieren und informieren

Diesen Propagandakampf müsse man über das Fernsehen, über Flugblätter sowie über diverse andere Mittel vorantreiben, mahnte der 79-Jährige ein. Derzeit werde sehr viel Macht angewendet, man müsse stattdessen mehr politisch kämpfen und die Menschen in Russland quasi sensibilisieren und informieren. „Jeden Tag sollen sie hören, dass sie in einem sinnlosen Krieg sterben, dass sie in einem falschen System leben.“

Lech Walesa mir Dolmetscherin
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Friedensnobelpreisträger Lech Walesa rief zu einem politischen Kampf bzw. einem Propagandakampf auf

Die Menschen im Westen sollten ebenso an sich glauben wie die Menschen in Russland, um das System rund um Präsident Wladimir Putin zu überwinden: „Ich habe die Revolution seinerzeit auch erreicht – ohne Panzer und Raketen.“

Auf die Frage, ob er eine Chance auf einen raschen Frieden sehe und wie dieser erreicht werden könne, antwortete Walesa: „Das hängt von Ihnen ab“, er wiederum sei ja nur ein Elektriker, meinte Walesa wiederholt. Putin habe mit dem Angriffskrieg die ganze Welt gegen Russland aufgebracht: „Die ganze Welt soll Ordnung mit Russland machen. Wir haben eine große Chance. Die Welt ist mobilisiert“.

„Man muss miteinander sprechen. Es ist besser, zu reden.“

Verhandlungen zwischen den USA und Russland würden schon Sinn machen, meinte der frühere polnische Präsident, der von 1990 bis 1995 im Amt war, auf Nachfrage: „Man muss miteinander sprechen. Es ist besser, zu reden.“ Es werde aber nur dann einen nachhaltigen Erfolg geben, wenn die russischen Anführer gleichzeitig erkennen, dass sie im eigenen Land auch eine Systemänderung einleiten müssen. Seitens des Westens gelte es, wiederum die Chance zu ergreifen, „Ordnung in Russland zu machen.“

„Wenn sie mit Putin reden wollen, dann sollen sie mich einladen, dann werde ich die Gespräche mit ihm führen“, machte Walesa gewohnt selbstbewusst deutlich. Dabei müsse dem russischen Staatschef die gesamte zur Verfügung stehende Drohkulisse deutlich gemacht werden, so Walesa, der behauptete, dass die russische Führung fünf Millionen Euro „Preisgeld“ auf seinen Kopf ausgesetzt habe.

Lech Walesa

Präsident Selenskyj für Walesa aus heutiger Sicht ein Held

Auf die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für ihn ein Held sei, meinte Walesa: „Aus heutiger Sicht, ja. Man sieht aber ein bisschen den Mangel an Erfahrung. Wenn er kleine Fehler macht, muss man ein bisschen die Augen zudrücken.“

So habe er sich beispielsweise nicht bereit erklärt, ihn, Walesa, einzubeziehen und mithelfen zu lassen, nachdem er sich angeboten hatte, um mit anderen Nobelpreisträgern eine „Weltsolidarität“ herzustellen. „Und deshalb bin ich jetzt arbeitslos und hier bei Ihnen“, lachte der frühere Präsident.

Kritik an ausbleibenden Waffenlieferungen der USA

Kritisch äußerte sich Walesa zur Rolle der USA in der Ukraine und generell: „Russland zerstört die Ukraine und Präsident Biden gibt keine Waffen, damit man die Ukraine retten kann.“ Joe Biden wolle die Macht der USA gegenüber Russland erweitern, aber ob er wirklich der Ukraine und auch Ländern wie Polen helfen will, stellte der Friedensnobelpreisträger von 1983 in Frage.

„Die amerikanische Bevölkerung hilft immer, aber die Politiker haben immer politisch gespielt. Ich mache mir meine Gedanken, ob dieser Präsident dies auch tut.“ Ansonsten gefalle ihm Biden aber prinzipiell, dieser sei ziemlich entschlossen. Von Vorgänger Donald Trump, der eventuell erneut für das Präsidentenamt kandidieren wird, zeigte sich Walesa hingegen weniger angetan und erneuerte Aussagen von früher, wonach dieser zwar oft die richtige Diagnose gestellt, aber die falsche Medizin verabreicht habe.

Zuhörer sitzen im Saal
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Walesa hielt auf Einladung des Management Center Innsbruck (MCI) einen Vortrag

Die USA hätten zwar noch militärisch die Führungsrolle in der Welt inne, seien aber wirtschaftlich nicht mehr so stark und politisch schwach. Sie hätten die generelle Führungsrolle verloren. „Wir müssen ihnen helfen, dass sie diese wiedergewinnen, sonst ist die Welt in Gefahr.“

„Ich habe die Sowjetunion zu Fall gebracht“

Ob Walesa irgendetwas in seinem Leben anders machen würde, wurde er schließlich noch gefragt und antwortete: „Ich würde nichts ändern. Ich bin mit allem zufrieden, es ist mir alles gelungen. Das klingt zwar hochnäsig, aber es sind Fakten. Ich habe die Sowjetunion zu Fall gebracht.“

Im eigenen Land spiele er nur mehr eine minimale Rolle, räumte Walesa, der nach nur einer Periode aus dem Amt gewählt worden war und im Jahr 2000 noch einmal erfolglos kandidiert hatte, ein: „Alle hören mir zu, aber es macht nicht den Eindruck, dass sie mich hören.“ Einmal mehr kritisierte Walesa die derzeitige Regierung, die das Grundgesetz breche und spielte damit unter anderem auf die umstrittene Justizreform an.

Braunes Hemd von Lech Walesa
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Der gesundheitlich angeschlagene Walesa erschien zu dem Interview übrigens in einem Hemd, „dekoriert“ mit Anstecknadeln, auf denen die ukrainischen Flagge sowie die Jungfrau Maria abgebildet waren. Die polnische Ikone war auf Einladung des Management Center Innsbruck (MCI) in der Tiroler Landeshauptstadt und hielt einen Vortrag zum Thema „Frieden, Freiheit & Demokratie. Gedanken zur Zukunft Europas“.