Deutsche Polizisten kontrollieren einen Autofahrer an der Grenze
APA/dpa/Sven Hoppe
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Politik

Grenzkontrollen wohl nicht rechtskonform

Deutschland will die Grenzkontrollen zu Österreich um sechs Monate verlängern. Vor allem am Grenzübergang Kufstein-Kiefersfelden sorgen diese regelmäßig für Staus. Aus Sicht des EU-Rechtswissenschafters Walter Obwexer sind die Kontrollen so rechtlich nicht zulässig.

Im Schengen-Raum, dem 27 europäische Länder angehören, sollen normalerweise keine Grenzkontrollen stattfinden, das regelt zumindest das Schengener Abkommen von 1985. Trotzdem setzen es einige Mitgliedsstaaten (etwa Deutschland, Österreich und Frankreich) seit der Flüchtlingskrise 2015 immer wieder außer Kraft.

Walter Obwexer
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EU-Rechtsexperte Walter Obwexer, Universität Innsbruck

Möglich ist das, wenn „eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ für ein Land besteht, allerdings für maximal sechs Monate. Wenn die Bedrohung danach weiterhin besteht, dürfen die Grenzkontrollen laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) bis zu höchstens zwei Jahren verlängert werden. Es braucht dann aber alle sechs Monate den Nachweis einer neuen ernsthaften Bedrohung, so Obwexer.

Migrationsströme würden wieder zunehmen

Deutschland begründet die Verlängerung der Grenzkontrollen im aktuellen Fall damit, dass die Zahl der Flüchtenden wieder massiv angestiegen ist. Im Jahr 2021 haben 12.600 Migrantinnen und Migranten die österreichisch-deutsche Grenze überquert, im Jahr 2022 waren es 23.000, so das deutsche Bundesinnenministerium auf Anfrage des ORF. Deutschland sei auch im Vorjahr wieder Hauptzielland in Europa gewesen, heißt es.

Es würden aber weit mehr Migrantinnen und Migranten von Salzburg aus nach Deutschland einreisen als von Tirol, stellt die deutsche Polizei gegenüber dem ORF fest. Die Bundespolizeiinspektion Freilassing, die etwa für den Grenzabschnitt am Walserberg zuständig ist, hat im vergangenen Jahr 2022 insgesamt 11.005 unerlaubte Einreisen registriert. Auf Tiroler Seite, also im Grenzabschnitt zwischen Chiemsee und Zugspitze, seien im vergangenen Jahr rund 3.340 Personen unerlaubt eingereist oder wurden beim Versuch festgestellt.

Grenzkontrollen rechtlich fragwürdig

Trotzdem seien die deutschen Grenzkontrollen an der österreichischen Grenze – und die österreichischen Kontrollen an den ungarischen und slowenischen Grenzen übrigens auch – rechtlich fragwürdig, meint EU-Rechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck.

Die Begründung für die Kontrollen sei seit mehreren Jahren dieselbe, nämlich irreguläre Migration. Dazu gab es auch bereits ein Urteil des EuGH – mehr dazu in EuGH: Grenzkontrollen in Österreich offenbar nicht rechtmäßig.

Blockabfertigung
ORF
Vor allem am Grenzübergang Kufstein-Kiefersfelden sorgen die Grenzkontrollen immer wieder für teils längere Staus

„Der Schengener Grenzkodex geht davon aus, dass wenn es eine Bedrohung wie Migrationsströme gibt, sich die Mitgliedsstaaten eigentlich gemeinsam darauf einigen müssten, Maßnahmen zu setzen, um diese Bedrohung zu reduzieren und die Binnengrenzkontrollen wieder aufzuheben. Es wurde vielleicht zu wenig gemacht, aber trotzdem wurde einiges gemacht in der Verstärkung der Außengrenzkontrollen, der Rückführung von Schutzsuchenden, usw. Daher bezweifle ich, ob diese Grenzkontrollen noch rechtskonform sind“, erklärt Obwexer.

Grenzkontrollen als letztes Mittel

Hinzu kommt, dass die eingeführten Grenzkontrollen laut dem Schengener Abkommen nur das letzte Mittel sein dürfen, um der Bedrohung entgegenzuwirken. Selbst die Gewerkschaft der deutschen Polizei hat kritisiert, dass die aktuellen Stichprobenkontrollen an den Grenzübergängen nicht effektiv seien, um illegale Migration zu bekämpfen.

Sie finden nämlich oft an denselben Stellen statt, dadurch würden Schutzsuchende andere Wege finden. Die Gewerkschaft habe vergeblich flexible und mobile Kontrollen gefordert, heißt es.

Rücksicht auf die politische Stimmung

Die Personenkontrollen sind dennoch weiterhin in Kraft, weil die Mitgliedsstaaten derartige Maßnahmen anderer Länder offenbar stillschweigend akzeptieren – etwa weil sie selbst Grenzkontrollen eingeführt haben. Die EU-Kommission schreitet ebenfalls nicht ein, womöglich aus Rücksicht auf die politische Stimmung, wie Beobachter meinen. Bis auf teils längere Staus hätten die Grenzkontrollen nur wenige negative Auswirkungen.

„Im November 2023 wäre rein rechtlich wieder ein Zeitraum von zwei Jahren zu Ende und dann geht es nicht mehr weiter. Außer man findet wieder eine neue Rechtsgrundlage und geht mit Empfehlung des Rates der EU vor. Ob das passiert, weiß ich nicht. Ich schließe aber auch nicht aus, dass die Grenzkontrollen im November um weitere sechs Monate verlängert werden – sowohl in Österreich zu Slowenien als auch in Deutschland zu Österreich – und dass weder die Kommission noch die anderen Mitgliedsstaaten sich dagegen äußern werden“, so EU-Rechtsexperte Walter Obwexer.