Männer und Frauen mit Querschnittslähmungen haben spezielle körperliche Bedürfnisse, über die auch Ärzte oft nicht genügend Bescheid wissen. Nicht nur Chirurgen oder Hautärzte haben zu wenig Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer unter ihren Patienten, um eine spezielle Expertise für deren Bedürfnisse zu entwickeln.
Die Innsbrucker Allgemeinmedizinerin Martina Handle ist nach einem Paragleitunfall selbst im Rollstuhl unterwegs. Sie hat als Ärztin am eigenen Leib erfahren, dass es für Querschnittgelähmte wenig Fachkompetenz gibt. Sie fallen nach Erstversorgung und Rehabilitation oft in ein Nachsorge-Loch.

Konservative Behandlung riskiert Folgeschäden
Zum Beispiel Knochenbrüche: Wenn sich Querschnittgelähmte ein Bein brechen, bekommen sie im Krankenhaus nicht selten zu hören „Sie brauchen ihre Beine eh‘ nicht.“

Ein Irrtum, denn zum Verlagern vom Rollstuhl auf die Toilette, in die Dusche oder ins Auto wird das Gewicht vorübergehend auf die Beine gelegt. Bei unbehandelten oder falsch behandelten Knochenbrüchen drohen offene Wunden, Knochenzersplitterungen oder Folgeprobleme wie Wundliegen und monatelange stationäre Aufenthalte. Besser wäre, sagt Martina Handle, gebrochene Knochen sofort durch Metallplatten wieder stabil und belastbar zu machen. Für die selbständige Alltagsbewältigung ist das Bedingung.
Medizinische Neuerungen für mehr Lebensqualität
Ein anderes Beispiel ist die Urodynamik. Um am Sozialleben teilnehmen zu können, leeren Querschnittgelähmte die Blase mittels Katheder. Manchmal entsteht eine Blasenentzündung, die mangels Schmerzempfinden erst spät diagnostiziert wird. Niereninsuffizienz ist immer noch eine Todesursache, wenn auch nicht mehr so oft wie früher. Moderne Techniken, zum Beispiel der Einsatz von Botox für die Blase, und neue Medikamente können verhindern, dass Betroffene wegen Harnwegsinfekten ständig mit verschiedenen Antibiotika behandelt würden, so Handle.

Interdisziplinäres Netzwerk mit Kliniken und Ärzten
Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Orthopäden, hat Handle tirolweit ein Netz aus Einrichtungen und Ansprechpartnern etabliert. Diese sind auf die speziellen Bedürfnisse von Querschnittgelähmten in Urologie, bei gastroenterologischen Untersuchungen, Infekten, Stuhl, medikamentöser Schmerztherapie, Blutuntersuchungen, Osteoporose, Spastik, Haut, Beweglichkeit und für den richtigen Sitz im Rollstuhl vorbereitet. Umgekehrt können Hausärzte sich auch bei Martina Handle melden, wenn sie für eigene querschnittgelähmte Patientinnen und Patienten ihre Expertise wünschen.
Geplant ist künftig eine regelmäßige Sprechstunde für Rollstuhlfahrende in Innsbruck, um die individuellen Probleme interdisziplinär zu eruieren und Lösungen zu finden.