Foto Erika Hubatschek
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Kultur

Die Schattenseiten von Hubatscheks Fotos

Die Geografin Erika Hubatschek hat in den 1940er Jahren die Welt der Tiroler Bergbauern fotografisch dokumentiert. Ihre Tochter Irmtraud Hubatschek veröffentlichte den umfangreichen Nachlass in Büchern. Jetzt wird die Verlegerin mit der NS-Vergangenheit ihrer Mutter konfrontiert.

Hubatschek war ab 1939 in den Tiroler Bergen unterwegs und hatte eine kleine Kamera, eine Kodak Retina, im Rucksack. Das bäuerliche Leben interessierte die Volkskundlerin vor allem wissenschaftlich. Sie dokumentierte die harte Arbeit auf dem Feld akribisch und aus ihrer Sicht möglichst authentisch. Ihrer Tochter Irmtraud Hubatschek erzählte sie viel von ihren Erlebnissen auf den Bergbauernhöfen.

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Die Geografin Erika Hubatschek hat das Leben in den Tiroler Bergen in den 1940er Jahren dokumentiert
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Einige Aufnahmen entsprechen der Ästhetik der NS-Zeit.
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„Arm sind nicht die, die nichts haben, sondern die, die nicht genug kriegen können.“ Dieses Zitat gefiel der Volkskundlerin Erika Hubatschek.

Einseitige Bildsprache

„Erika Hubatschek war das Fräulein Doktor“, erzählt ihre Tochter: „Sie hat sich nicht als Fotografin gesehen, sondern als Forscherin, die mit den Bauern und Bäuerinnen mitgearbeitet hat. Das war die Eintrittskarte, um Arbeitssituationen gut dokumentieren zu können. Meine Mutter konnte selber melken und mähen, sie hat Mist am Buckel ausgetragen und Korn geschnitten. So hat sie sich die Achtung und das Vertrauen der Arbeitenden erworben.“

Es gibt zahlreiche Anekdoten aus den 1940er Jahren. Erika Hubatschek interpretierte das Leben der Bergbauern als hart, aber glücklich. Arm sei nicht der, der wenig habe, sondern der, der nicht genug bekommen könne, zitierte die Volkskundlerin gerne bis ins hohe Alter. Ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen sollten das raue Leben in den Bergen darstellen.

Einfach sei die Sache nicht gewesen, erklärt die Tochter: „Vor allem bei den jungen Burschen ging es damals ans Eingemachte. Da waren zehnjährige Hirten für das ganze Vieh verantwortlich. Sie hatten weniger Angst vor dem Alleinsein als davor, dass ein Tier abstürzen könnte.“

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Irmtraud Hubatschek im Alter von fünf Jahren auf einer Alm im Zillertal

Seltene Schnappschüsse

Meist fotografierte Erika Hubatschek genau durchdachte Kompositionen. Einerseits waren die Filme im Krieg teuer und schwer zu bekommen, andererseits ging es der Volkskundlerin um das Festhalten der traditionellen Arbeitsmethoden mit heute nicht mehr existierenden Geräten.

Nur wenige Schnappschüsse seien im Bildarchiv erhalten, beschreibt die Tochter, diese seien für sie daher besonders kostbar. Die gelebte Realität würde ihr auf vielen Bildern fehlen. Die Aufnahmen seien immer ästhetisch und fachlich fundiert gestaltet.

Manchmal sei sie als Verlegerin glücklich über Momentaufnahmen: „Auf einem Bild sieht man eine Bauernfamilie beim offiziellen Gruppenfoto. Daneben gibt es noch eine bewegte Aufnahme, auf der der Bauern versucht, den Hund ins Bild zu holen. Die erzählt viel mehr über das Leben der Familie“, so Irmtraud Hubatschek.

Schatz mit Schattenseiten

Ohne es zu ahnen, hatte Erika Hubatschek damals eine bäuerliche Welt festgehalten, die bald darauf verschwinden sollte. Erst zu Beginn der 1960er Jahre sei der Fotografin bewusst geworden, welchen Schatz sie im letzten Moment aufgenommen hatte. Aus ihrer Sicht war es eine heile Welt, die durch den langsam auch in den hintersten Tiroler Bergtälern einkehrenden Fortschritt zerstört wurde.

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Irmtraud Hubatschek, Verlegerin
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Irmtraud Hubatschek arbeitet mit dem umfangreichen Bildarchiv ihrer Mutter Erika Hubatschek
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Sollte man die Schwarz-Weiß-Aufnahmen heute mit anderen Augen betrachten?
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Bildarchiv mit 14.000 Negativen

Ihrer Tochter hinterließ die im Jahr 2010 verstorbene Erika Hubatschek ein Bildarchiv mit mehr als 14.000 Negativen. Irmtraud Hubatschek hat den umfangreichen Nachlass der Mutter bereits in acht Büchern veröffentlicht und noch weitere geplant. Die Verlegerin sieht die alten Aufnahmen durchaus sozialkritisch. So habe die Mutter nur Bauern und Bäuerinnen aufgenommen, die Knechte und Mägde habe sie ausgespart.

Interviews mit Zeitzeugen bereichern die Bilder

Im aktuellen Buch „Almzeit“ ergänzt Irmtraud Hubatschek die alten Fotografien mit neuen Geschichten. Sie hat Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen geführt, die damals noch Kinder waren. Einige erinnern sich heute noch an die „studierte Fotografin“. Die Aufnahmen mit einem Sack voller Magnesiumpulver als Blitzlicht in der dunklen Bauernstube der Falbesoner Ochsenalm habe ihn nachhaltig beeindruckt, erzählt Leo Gleinser aus Neustift: „Die Frau hat das Sackl aufgehängt, und wir haben alle drei stur auf dieses Sackl geschaut. Das war der Blitz und der hat einen netten Schall getan.“

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Irmtraud Hubatschek will die Almen abseits von aktuellen Themen wie dem Kuhurteil oder dem Wolf darstellen.

Peinliche Namenssuche für neuen Fotopreis

Es gibt allerdings nicht nur nette Geschichten von damals zu erzählen. Irmtraud Hubatschek wird mit der NS-Vergangenheit ihrer Mutter konfrontiert.

Zum Nachlesen

Das Thema kam auf, als die Stadt Innsbruck gemeinsam mit der Straßenzeitung „20er“ einen neuen Preis für Dokumentarfotografie nach der Fotopionierin benennen wollte. Mit dem „Erika-Hubatschek-Preis“ sollte das Leben von geflüchteten Menschen dokumentiert werden. Doch Erika Hubatschek hatte einst vor allem „heimische“ Bauern und Bäuerinnen porträtiert.

Hubatschek
Tiroler Landesarchiv
Der im Tiroler Landesarchiv erhaltene Personalakt enthält Informationen zur NSDAP-Mitgliedschaft von Erika Hubatschek

Thema verfehlt

Historiker und Historikerinnen machten auf die NS-Vergangenheit der Fotopionierin und somit auf die unpassende Namensgebung aufmerksam. Der im Dezember 2022 erstmals vergebene Fotopreis wurde gerade noch rechtzeitig in „Korridor“ umbenannt. Die Historikerin Christine Gamper und der Europäische Ethnologe Reinhard Bodner haben die Fakten aus der NS-Zeit im „20er“ zusammengefasst.

Hubatschek bediente sich in ihren wissenschaftlichen Texten eindeutiger NS-Rhetorik, erklärt Bodner: „So schreibt sie über die bodenverwurzelten, kinderreichen Tiroler Bergbauernfamilien als Blutsquell der deutschen Nation und dass sie dem deutschen Volk immer wieder frisches Blut zuführen würden.“

Europäischer Ethnologe Reinhard Bodner
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Der Ethnologe Reinhard Bodner will nicht als „junger Besserwisser“ urteilen, sondern die NS-Geschichte offen ansprechen

Von NS-Umfeld geprägt

Die Biografie von Karl Hubatschek, dem Vater von Erika Hubatschek wurde untersucht. Der protestantische Pfarrer gilt als früher und überzeugter Nationalsozialist, der auch beim Putschversuch 1934 involviert war. Erika wuchs in diesem Umfeld auf und sympathisierte früh mit den illegalen Nationalsozialisten. Sie war Mitglied des Vereins Südmark und beim Bund Deutscher Mädel (BDM).

Reinhard Bodner resümiert: „Es zeigt sich das Bild einer Frau, die aktiv versucht hat, ihre Forschungen zu den Tiroler Bergbauern dem NS-Regime als Ressource anzubieten. Sie hat gezielt NS-Rhetorik verbreitet. Wenn man das glaubt, was sie geschrieben hat, dann zeigt sie sich als überzeugte Nationalsozialistin.“

„Das Wesen der Frau ist unpolitisch“

Nach dem Krieg wurde Erika Hubatschek bei der Entnazifizierung als „minderbelastet“ eingestuft. Einflussreiche Fürsprecher von der Universität und vom Tiroler Volkskunstmuseum unterstützten sie. Hubatschek selbst bezeichnete sich als völlig unpolitisch, „… wie das wohl im Wesen jeder gesund und natürlich empfindenden Frau liege“.

Foto Erika Hubatschek
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Irmtraud Hubatschek plant, die Aufnahmen von einem Foto-Historiker in analysieren zu lassen.

Fotos heute anders betrachten?

So genau habe sie über die Geschichte ihrer Mutter nicht Bescheid gewusst, sagt Irmtraud Hubatschek. Vor allem die Details über ihren Großvater seien neu für sie gewesen. Die Mutter habe einmal versucht, mit ihr über die NS-Zeit zu sprechen.

Als damals 20-Jährige sei sie nicht bereit dazu gewesen: „Die Initiative ging eindeutig von meiner Mutter aus. Doch mit mir war damals nichts anzufangen. Ich bin über sie hergefallen und habe sie zerrissen. Dadurch wollte sich meine Mutter nicht weiter erklären. Später, als ich einen weiteren Blick auf die Thematik hatte, ist es nicht mehr zu so einem Gespräch gekommen.“

Irmtraud Hubatschek, Verlegerin
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Als Jugendliche verweigerte Irmtraud Hubatschek der Mutter das Gespräch über die NS-Zeit. Heute sind einige Fragen offen.

Offener Umgang mit NS-Vergangenheit

Bodner geht es in seiner Darstellung nicht um die Verurteilung der Volkskundlerin, sondern um die Einladung zum Dialog. Er wolle nicht als „junger Besserwisser“ daherkommen. Mit Irmtraud Hubatschek pflegt der Wissenschaftler einen konstruktiven Austausch. Als Europäischer Ethnologe könne er die Faszination für die historischen Dokumente nachvollziehen, dennoch müsse man auch die „schwierigen Seiten“ der Biografie aufzeigen.

Hubatschek
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In der Innsbrucker Straßenzeitung „20er“ werden die bisher bekannten Fakten zusammengefasst.

Über einen „Erika-Hubatschek-Preis“ hätte sich Irmtraud Hubatschek natürlich gefreut. Nun stellt sie sich der NS-Vergangenheit ihrer Mutter. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen entsprechen der Ästhetik der Zeit. Inwieweit sie von der NS-Ideologie geprägt sind, könne sie selbst nicht beurteilen.

Die Verlegerin plant, die Aufnahmen von einem Fotohistoriker analysieren zu lassen: „Mir ist wichtig, dass die NS-Geschichte aufgearbeitet wird, dass die Fakten auf dem Tisch liegen und zugänglich sind. Was dann jeder mit der Information anfängt, ist jedem selbst überlassen. Ich bin dankbar, wenn es nicht zu einem pauschalen, schnellen Urteil kommt, ohne die Dinge zu hinterfragen.“

Hubatschek
Irmtraud Hubatschek
Die vollständige Biografie von Erika Hubatschek (1917–2010), hier mit ihrer Tochter Irmtraud, ist kaum bekannt.

Im aktuellen Buch „Almzeit“ wird die NS-Vergangenheit nicht erwähnt. In Zukunft sollten wohl nicht nur die einmaligen Fotos gewürdigt, sondern auch die ganze Biografie der Erika Hubatschek erzählt werden.