Aufnahme aus dem Fluoreszenzmikroskop zeigt neutrophile Granulozyten (pink), welche in Lungenkrebs Tumore (blau und grün) einwandern.
s. Salcher
s. Salcher
Gesundheit

Gezieltere Therapie bei Lungenkrebs

Das komplexe Zusammenspiel von Tumor- und Immunzellen macht die Wahl gezielter Immuntherapien schwierig. Innsbrucker Forscher entwickelten nun einen hochauflösenden Einzelzell-Atlas. So kann bei Lungenkrebs das Ansprechen auf Immuntherapien besser vorhergesagt werden.

Die Erforschung von Zellen ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung personalisierter Medizin. Für die Erstellung von Tumorprofilen wurden in den letzten Jahren zahlreiche innovative Technologien entwickelt und etabliert. Die Einzelzell-Sequenzierung – single cell RNA-sequencing – ermöglicht es etwa, einzelne Zellen zu sequenzieren und jeweils individuell herauszufinden, welche Gene in der Zelle gerade aktiviert sind.

Auf diese Weise lassen sich 10.000 Zellen pro Patient und rund 2.000 Gene pro Zelle analysieren, sodass ein detailliertes Tumorprofil entsteht. Weil für diese Methode stets frische Gewebeproben benötigt werden und das Verfahren teuer ist, gab es bisher nur von wenigen Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) Einzelzell-Analysen.

Weltweit alle Proben gesammelt und in Atlas ausgelistet

Ein interdisziplinäres Team von Forschenden an der Medizinischen Universität Innsbruck ging nun einen Schritt weiter. Es sammelte alle Proben von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, die weltweit bereits sequenziert worden waren, und listete sie in einem Atlas auf, erklärte Studienautor Zlatko Trajanoski, Direktor des Instituts für Bioinformatik am Innsbrucker Biozentrum.

Zlatko Trajanoski
MUI/Bullock
Zlatko Trajanoski ist Direktor des Instituts für Bioinformatik am Innsbrucker Biozentrum

Der Schlüssel zum Erfolg bei diesem Forschungsprojekt lag in der engen Zusammenarbeit zwischen Onkologen und Molekularen Medizinern aus dem Klinischen Bereich und führenden Bioinformatikern. Das Team um Zlatko Trajanoski zählt zu einer der wenigen Gruppen weltweit, die aus riesigen Datenmengen und bioinformatischen Analysen zielgerichtete Informationen für die Krebsimmuntherapie liefern können, teilte die Universität Innsbruck in der Aussendung mit.

1,3 Millionen Zellen aus 1,7 Milliarden Messungen

Für die nun im Fachjournal Cancer Cell publizierte Forschungsarbeit wurden 1,3 Millionen Zellen von 318 Patienten aus insgesamt 1,7 Milliarden Messungen integriert. Nun liegt ein Einzelzell-Atlas vor, der die Risikoberechnung und die Vorhersagbarkeit des Therapieansprechens verbessert, von Medizinern heruntergeladen und für die Therapieentscheidung genutzt werden kann.

Das Innsbrucker Team interessierte sich zudem für die Frage, ob auch die patientenspezifische, zelluläre Zusammensetzung des Tumors Einfluss auf das Ansprechen der Immuntherapie hat. Im Visier standen dabei neutrophile Granulozyten.

Zelluläre Tumor-Zusammensetzung therapieentscheidend

Bei Krebskranken ist eine vermehrte Zirkulation dieser spezifischen Immunzellen mit einer schlechten Prognose verbunden. In den vorhandenen Einzelzellanalysen wurden jedoch kaum Neutrophile nachgewiesen, da diese Zellart beim Einfrieren der Gewebeproben vor der Sequenzierung für gewöhnlich weitgehend zerstört wird.

Die an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Hämatologie und Onkologie von Stefan Salcher etablierte Einzelzellanalyse mit spezifischer Neutrophilenbestimmung konnte hier Abhilfe schaffen. Mit dieser Technologie wurde eine zusätzliche Analyse in Gewebeproben von 17 Lungenkarzinom-Patientinnen und -Patienten, die am Comprehensive Cancer Center Innsbruck (CCCI) behandelt werden, durchgeführt.

Stefan Salcher von der Univ.-Klinik für Hämatologie und Onkologie
MUI/Bullock
Stefan Salcher bei der Einzelzellanalyse

Damit erhärtete sich der Verdacht, dass Neutrophile eine besonders hohe Plastizität besitzen, also ihre Gestalt verändern, wenn sie in das Tumorgewebe eindringen. Dabei konnten zwei Subtypen von Neutrophilen im normalen Gewebe und vier Subtypen im Tumorgewebe identifiziert werden. Einer dieser Subtypen im Tumorgewebe erweist sich überraschenderweise als anti-tumoral und könnte besonders vorteilhaft für das Ansprechen auf die Immuntherapie sein.

Einzelzell-Atlas auf andere Krebserkrankungen erweitern

„Die präzise Bestimmung der zellulären Komposition des Tumors wird für die Therapieanpassung entscheidend sein“, resümierte Studienautor und Onkologe Andreas Pircher.

Onkologe Andreas Pircher
MUI/Bullock
Andreas Pircher sieht in der zellulären Komposition des Tumors den Erfolg der Therapie

Das nächste Ziel des Teams ist es, die Funktion neutrophiler Granulozyten im Lungenkrebs besser zu definieren und ihre Rolle in der Therapieresistenz zu beeinflussen. Auch soll der Einzelzell-Atlas auf andere Krebserkrankungen erweitert werden. Da im Rahmen solcher Projekte Millionen von Daten verarbeitet, integriert und analysiert werden müssen, ist die Zusammenarbeit und Nutzung von Ressourcen über Institutsgrenzen hinweg unabdingbar.

Treffsicherheit bei Immuntherapie soll erhöht werden

Die Immuntherapie ist in Kombination mit oder auch anstelle der klassischen Chemotherapie eine neue, selektiv hochwirksame Therapie-Säule in der Krebsmedizin. Gemeint sind neue Immuntherapien, wie Checkpoint-Inhibitoren – das sind blockierende Antikörper – oder CAR-T-Zellen, mit denen das körpereigene Immunsystem wieder gegen die Tumorzellen mobilisiert und aktiviert werden kann.

Doch lediglich 20 bis 30 Prozent der Krebspatienten sprechen längerfristig auf die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren an. Gegenstand intensiver Forschung sind geeignete Vorhersagemodelle, mit denen die Treffsicherheit erhöht oder auch schwere Nebenwirkungen verhindert werden können.