Eine Wählerin bei der Stimmabgabe  im Rahmen der SOS Mitmensch Aktion „Pass egal Wahl“ in einem Wahlzelt am Minoritenplatz in Wien. Die NGO SOS Mitmensch setzt sich für ein Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger ein. (24.9.2019)
ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com
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Politik

„Pass Egal Wahl“ zeigt „Demokratie-Defizit“

In Tirol leben rund 116.000 Menschen im wahlfähigen Alter ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Bei Landes- und Bundeswahlen sind sie nicht wahlberechtigt, teilweise auch nicht bei Gemeinderatswahlen. SOS Mitmensch gibt ihnen vor der Bundespräsidentenwahl eine symbolische Stimme.

Die gebürtige Irakerin Noor Aljuboori lebt seit mehr als zwölf Jahren in Tirol. Bei der Innsbrucker Bildungseinrichtung „Frauen aus allen Ländern“ arbeitet sie als Arabisch-Übersetzerin und in der Kinderbetreuung. Politisch mitbestimmen darf sie hierzulande aber nicht – zumindest nicht bei Wahlen etwa des Landtags oder des Bundespräsidenten.

Aljuboori ist eine von vielen Menschen in Tirol, die zwar im wahlfähigen Alter sind, aber keinen österreichischen Pass haben und daher kein Wahlrecht haben. Laut Statistik Austria leben in Tirol 116.606 nicht-österreichische Staatsangehörige über 16 Jahre (Stand 1. Juli 2022). Gemessen an der Gesamtbevölkerung im wahlfähigen Alter (rund 649.000) entspricht das knapp 18 Prozent.

„Pass Egal Wahl“ für alle zugänglich

Auf diesen Teil der Bevölkerung will die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch mit der „Pass Egal Wahl“ aufmerksam machen. Bei der symbolischen Aktion wählen die über 16-Jährigen unabhängig vom Pass einen Bundespräsidenten. Denn die fehlende Wahlberechtigung führe „zu einer enormen und stetig wachsenden Demokratiekluft und fördert Entfremdung“, heißt es von SOS Mitmensch.

In Tirol können Betroffene über NGOs wie die Plattform Asyl oder den Diakonie Flüchtlingsdienst noch bis 4. Oktober bei der Initiative mitmachen. Zum Abschluss am Dienstag gibt es am Nachmittag in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße eine eigene Wahlaktion. Auch die Beratungseinrichtung „Frauen aus allen Ländern“ bietet ein „Wahllokal“. Für Silvia Ortner aus dem Leitungsteam geht es darum, den Menschen eine Stimme und ein Gefühl von Partizipation zu geben. „Das Wahlrecht ist ein demokratisches Mitbestimmungsrecht und besonders wichtig, um Teil der Gesellschaft zu sein, in der man lebt“, sagt Ortner.

Kriterium Hauptwohnsitz als Alternative

Der Innsbrucker Politologe Reinhold Gärtner sieht die „Pass Egal Wahl“ von SOS Mitmensch als sehr sinnvoll. Dadurch könne ein neues Problembewusstsein entstehen. Angesichts des großen Prozentsatzes der vom Wahlrecht ausgeschlossenen Bevölkerung handle es sich durchaus um ein „Demokratie-Defizit“, meint Gärtner.

Wahlkabine bei Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch
ORF
Bei der symbolischen „Pass Egal Wahl“ dürfen alle Menschen im wahlfähigen Alter einen Bundespräsidenten wählen.

In einer Demokratie sei es laut dem Politikwissenschafter wichtig, dass die von den politischen Entscheidungen betroffenen Menschen auch mitbestimmen können. Als eine mögliche Alternative zur Staatsbürgerschaft könne der Lebensmittelpunkt ausschlaggebend für die politischen Rechte sein. Im Sinne einer „Wohnbürgerschaft“ spricht Gärtner davon, dass der Hauptwohnsitz nach einer bestimmten Vorlaufzeit das wesentliche Kriterium wäre: „Ob das Wahlrecht nach zwei, drei oder fünf Jahren mit Hauptwohnsitz erteilt wird, müsste man diskutieren“.

„Wir haben keinen Einfluss auf die Gesetze“

Eine andere Möglichkeit wäre für den Politologen Gärtner ein leichterer Zugang zur Staatsbürgerschaft. Derzeit seien die Regelungen sehr „rigide“, meint er. Das liege einerseits an den hohen Kosten und andererseits daran, dass die andere Staatsbürgerschaft abgelegt werden müsse. „Für die politischen Rechte könnte entweder die Staatsbürgerschaft als Kriterium relativiert oder der Zugang dazu erleichtert werden“, so der Politologe.

Wie schwierig es ist, einen österreichischen Pass zu bekommen, weiß auch die gebürtige Irakerin Noor Aljuboori. Als alleinerziehende Mutter sei es für sie praktisch unmöglich gewesen, die finanziellen Voraussetzungen zu erfüllen und einen Antrag zu stellen. Da sie schon lange im Land lebt und sich als Österreicherin fühlt, würde sie aber gerne mitbestimmen. „Ich finde es unfair, dass ich die Gesetze befolge und Steuern zahle, aber keinen Einfluss darauf habe“, sagt die Dolmetscherin. Bei der „Pass Egal Wahl“ gab sie bereits ihre Stimme ab. Auch wenn sie kein politisches Gewicht hat, sei ihr der symbolische Urnengang dennoch ein Anliegen.