Ortsschild Ischgl
APA/EXPA/Jakob Gruber
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Gericht

Erster Prozess gegen Ischgler Hotelier

Österreichische Verbraucherschützer wollen für Coronavirus-Opfer im Zusammenhang mit dem Skiort Ischgl eine Sammelklage gegen die Republik Österreich einbringen. Außerdem ist eine Reihe von Klagen gegen Hoteliers der Tiroler Tourismusgemeinde geplant, kündigte der Verbraucherschutzverein (VSV) an.

Der erste der Schadenersatzprozesse gegen Ischgler Hoteliers fand am Freitag in Wien statt. Die Geschäftsführerin des Viersternebetriebs gab an, dass es keinen Grund gegeben habe, Gäste im März 2020 über Covid-19-Risiken zu informieren.

Die Geschäftsführerin des Hotels, die zur Eigentümerfamilie gehört, bestätigte dem Gericht, dass sie weder ihre Angestellten noch ihre Gäste über die Coronavirus-Dynamik in Ischgl informierte – also etwa über die Risikowarnung isländischer Behörden zu Ischgl und über die behördliche Schließung von Apres-Ski-Lokalen. „Es war kein Grund zur Information“, sagte sie. „Wir haben einfach ganz normal unser Geschäft weitergemacht.“ Mit ihrem Bruder, der Chef des Tourismusverbandes ist und ein anderes Hotel führt, habe sie sich nie über die CoV-Lage ausgetauscht.

Damals wurde der für seine Apres-Ski-Partys bekannte Ort zu einem Coronavirus-Hotspot. Viele Gäste infizierten sich und trugen das Virus in ihre Heimatländer, darunter auch Deutschland. Bereits in mindestens 80 Fällen wurde die Republik wegen angeblichen Versagens im Umgang mit den Infektionen in Ischgl verklagt. Die Rechtsvertreter des Staates haben die Vorwürfe zurückgewiesen.

Bisher hat der Verein nur Einzelprozesse für Geschädigte mit Rechtsschutzversicherung unterstützt. Nun haben sich zwei deutsche Unternehmer bereiterklärt, eine Sammelklage für Unversicherte zu finanzieren, so der VSV. Er rechnete mit 150 bis 200 Interessenten.

Was war über das Risiko bekannt?

Davon unabhängig will der VSV Einzelklagen gegen Hoteliers führen. Denn laut Rechtsanwalt Klauser haben viele ehemalige Gäste im März 2020 gegenüber dem VSV angegeben, dass sie sich bei ihren Hotels über das Infektionsrisiko erkundigt hätten. „Es gab eine systematische Informationspolitik sowohl der Behörden als auch des Tourismusverbandes und der Hoteliers, um die Tatsache, dass das Coronavirus in Ischgl angekommen war, zu verschleiern“, sagte Klauser.

Klauser vertrat am Freitag die Urlauberin aus Deutschland, die kurz nach ihrem Aufenthalt in Ischgl an Covid-19 erkrankte und nun 42.000 Euro Schadenersatz fordert.

Klagen drohen auch dem Land Tirol

Die Finanzprokuratur hat in der Causa Ischgl Rekurs gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien, die klagsabweisenden Ersturteile aufzuheben und neu zu verhandeln, erhoben. Darin behauptet die Finanzprokuratur, dass Fehler der Tiroler Behörden nicht der Republik Österreich zurechenbar wären, sondern vielmehr nur das Land Tirol dafür verantwortlich wäre. Daher wären die gegen den Bund gerichteten Klagen abzuweisen.

Darüber informierte am Freitag der VSV. Aufgrund der neuen Verteidigungsstrategie der Finanzprokuratur, die der Anwalt des Staates ist, sehe sich der VSV genötigt, aus prozessualer Vorsicht nun auch zusätzlich das Land Tirol zu klagen, sagte VSV-Obmann Peter Kolba bei einer Pressekonferenz vor Beginn der ersten Verhandlung nach der Aufhebung der klagsabweisenden Ersturteile am Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien.

VSV sieht nach wie vor Bund in der Verantwortung

Der VSV sehe die Frage aber anders als die Finanzprokuratur. „Wir und unsere Gutachter sehen das nicht so, und auch das OLG Wien nicht. Die Tiroler Behörden wurden im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung tätig, daher haftet der Bund für deren Fehler,“ so Kolba.

„Um jedoch auf beiden Seiten sinnlose Geldausgaben zu vermeiden“, habe er heute Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) vorgeschlagen, im Fall eines Verjährungsverzichtes des Landes Tirol bis zur Klärung der strittigen Rechtsfrage durch den Obersten Gerichtshof (OGH) mit einer Klage gegen das Land Tirol für die vom VSV vertretenen Geschädigten vorerst zuzuwarten. Im Fall eines Verjährungsverzichtes des Landes Tirol könnte man in Ruhe abwarten, bis eine gerichtliche Entscheidung zur Haftung des Bundes rechtskräftig wird.

Steht sodann fest, dass der Bund haftet, würde sich eine Klage gegen Tirol endgültig erübrigen. Seitens des Landes Tirol hieß es auf Nachfrage, dass es zu laufenden Verfahren keine Stellungnahme gibt.

Kolba spricht von falscher Medieninformation

Als schweren Fehler im Fall Ischgl sieht Kolba unter anderem eine nachweislich falsche Medieninformation des Landes Tirol vom 5.3.2020, in der wider besseres Wissen behauptet worden sei, in Ischgl infizierte Touristen hätten sich erst auf der Heimreise mit dem Coronavirus angesteckt. Die Presseaussendung habe der Beruhigung gedient und habe Berichterstattung verhindern sollen. „Und das ist gelungen. Es wurde nicht berichtet“, so Kolba.

Anwalt Alexander Klauser kündigte an, dass der VSV erstmals auch gegen einen prominenten Hotelier aus Ischgl Klage einreichen habe. Die Klägerin war Gast in dem Hotel und hat sich vor der Anreise im Jahr 2020 explizit im Hotel erkundigt, ob alles o. k. sei, und das Hotel habe „wider besseres Wissen erklärt, dass es in Ischgl keine Probleme mit Covid-19 gäbe“. Die Anfrage sei am 8. März gewesen, fünf Tage nachdem schon bekannt gewesen sei, dass Isländer in Ischgl an Covid-19 erkrankt waren.

VSV kündigt Sammelklage an

Der VSV bringt in der Causa zudem weitere Einzelklagen für Rechtsschutzversicherte ein sowie eine Sammelklage für jene, die keine Rechtsschutzversicherung haben. Diese werde von einem Prozessfinanzier unterstützt, sodass die Geschädigten kein Kostenrisiko treffe, berichtete Kolba.

Kolbas Nachfolgerin Daniela Holzinger-Vogtenhuber forderte von der Republik einen runden Tisch, an dem über die Höhe der Ansprüche verhandelt werden solle. Die Summe der Ansprüche werde voraussichtlich zehn Mio. Euro nicht übersteigen. „Diesen Betrag erzielt der Tourismus in Ischgl in einer Wintersportwoche“, so Holzinger-Vogtenhuber.