Sozialzentrum Jenbach, Pflegeheim, Altersheim
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Soziales

Pfleger aus Kolumbien spalten Gemeinde

Die Gemeinde Jenbach will ihren Pflegemangel über Fachkräfte aus Kolumbien decken. Sie zahlt dafür eine hohe Vermittlungsgebühr an eine Agentur. Auch die Stadt Innsbruck hat sich bereits so beholfen. In Jenbach löst dieser Plan Kritik aus.

Jenbach plant drei Pflegefachkräfte aus Kolumbien zu holen. Bürgermeister Dietmar Wallner sieht die 12.000 Euro Vermittlungsprovision an die Agentur gut angelegt, „weil wir es nicht riskieren können, irgendwann mit zu wenig Pflegekräften dazustehen und nicht mehr pflegen zu können. Wir sind froh, wenn es Länder gibt, wo Menschen gut ausgebildet werden und die mentalitätsmäßig noch zu uns passen.“ In Österreich würden sie dann gleich behandelt und gleich bezahlt wie alle anderen angestellten Pflegekräfte auch.

Moderner Kolonialismus oder Segen in der Not?

Für Gemeindevorständin Barbara Wildauer von der Alternativen Liste Jenbach wirft das Modell Fragen auf. Die Agentur hole die Arbeitskräfte nach Tirol, aber die Marktgemeinde Jenbach müsse sehr viele zusätzliche Anforderungen erfüllen. „Das beginnt bei der Finanzierung und Organisation der Anreise, Wohnraumbeschaffung, Familiennachzug, Sprachausbildung und Unterstützung bei der Einarbeitung im Altersheim. Das sind alles Leistungen, die wir unseren bestehenden Mitarbeiterinnen in dieser Form nicht anbieten können“, so Wildauer. Das bringe Unruhe in der Gemeinde, so die Gemeindevorständin.

Außerdem müsse die Pflegemisere sofort beseitigt werden, nicht erst in einem Jahr. So lange dauert es nämlich, bis die Pflegekräfte aus Kolumbien nach umfangreichen Sprachkursen in Tirol zu arbeiten beginnen können. Man solle das Geld dafür verwenden, Personal vor Ort zu rekrutieren, anstatt in eine Agentur zu stecken.

Wohnheim Saggen in Innsbruck, Altersheim, Pflegeheim
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In den Einrichtungen der Innsbrucker Sozialen Dienste holte man bereits elf Fachkräfte aus dem Ausland

Erste Pflegende aus Kolumbien in Innsbruck

Die Innsbrucker Sozialen Dienste GmbH (ISD) hat bereits elf Menschen aus Kolumbien eingestellt, weitere acht bis zehn sollen hinzukommen, sagt ISD-Geschäftsführer Hubert Innerebner. In ihrem Heimatland herrschten schlechte Arbeitsbedingungen, auch für Pflegekräfte. „50 Prozent der Absolventen finden keine Arbeit. Die, die eine finden, arbeiten unter prekären Verhältnissen, z.B. ohne Abgeltung von Überstunden, das kann man sich bei uns gar nicht vorstellen. Deshalb gibt es eine hohe Bereitschaft, das Land langfristig zu verlassen“, so Innerebner.

Innsbrucks Vizebürgermeister Johannes Anzengruber (ÖVP) plant ein eigenes Pflege-Rekrutierungsbüro einzurichten, um damit eine Agentur zu umgehen. Den Antrag dafür habe er bereits in Arbeit. Außerdem gebe es Gespräche darüber, ob z.B. aus Vietnam Pflegefachkräfte nach Innsbruck kommen könnten, so Anzengruber.

Pflegenotstand seit langem bekannt

Bis 2030 werden in Tirol zusätzlich 7000 Pflegefachkräfte gebraucht. Das ruft immer mehr private Agenturen auf den Plan. Sie bieten an, auswanderungsfreudiges diplomiertes und studiertes Pflegepersonal gegen hohe Vermittlungsgebühren aus Südamerika und Asien zu holen. Der Fachkräftemangel im Pflegebereich kündigte sich schon vor Jahren an, jetzt ist er – durch die Coronapandemie verstärkt – da. Private Agenturen bieten sich an, diese Personal-Lücke zu schließen.

Liste Fritz sieht Geld in heimischer Pflege besser investiert

Die Liste Fritz fordert mehr Kreativität in der Lösung der Pflegeproblematik. Das Geld für die Vermittlungsgebühr könnten Heimträger in die Hand nehmen und in die Attraktivierung der Rahmenbedingungen und Bezahlung der heimischen Pflegepersonen stecken. „Sowohl bessere Gehälter, als auch Bonuszahlungen und finanzielle Zuschüsse zur Ausbildung lassen sich damit finanzieren und sind sicherlich der bessere Lösungsansatz, als diese Verzweiflungstat“, so Liste Fritz-Spitzenkandidatin Andrea Haselwanter-Schneider.

Pflegende aus anderen Kontinenten zu holen könne erst dann mögliche Personallücken füllen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, so Haselwanter-Schneider. Sie sieht außerdem viele Fragen offen, z.B. welche pflegerischen Fähigkeiten bringen die Pflegepersonen mit? Wann kommen diese Pflegepersonen nach Tirol und wie lange werden sie bleiben? Reicht das Sprachniveau aus, um zu den Pflegebedürftigen einen Draht aufbauen zu können und ihnen auch ein notwendiges Maß an ‚Ansprache‘ gewährleisten zu können?