Der Hintereisferner in den Ötztaler Alpen zählt zu den größten Gletschern Tirols und ist mit den längsten durchgehenden Messreihen eines Gletschers weltweit versehen: Seit mehr als 100 Jahren wird er genau beobachtet, seit 1952 gibt es kontinuierliche Aufzeichnungen über seine Massenbilanz-Entwicklung. An ihm lässt sich der Zustand der heimischen Gletscher im Laufe der Jahrzehnte also besonders gut ablesen.
Der Gletscher erreichte heuer so früh wie noch nie den sogenannten „Glacier Loss Day“. Die sogenannte „Gletschermassenbilanz“ wird immer vom 1. Oktober des Vorjahres bis zum 30. September des aktuellen Jahres berechnet. Bereits seit dem 22. Juni steuert der Gletscher also auf eine negative Jahresbilanz zu, teilte die Universität Innsbruck mit – und das, obwohl die Sommermonate erst noch bevorstehen.

Prognose: Gletscher wird auf die Hälfte schrumpfen
Laut Berechnungen werde der Hintereisferner bereits in den nächsten zehn bis 15 Jahren die Hälfte seines Eises verlieren. Die Ursache dafür liegt im menschengemachten Klimawandel, betonte Gletscherforscher Rainer Prinz, der heuer einen noch nie da gewesenen Massenverlust für den Gletscher erwartete.
„Der Hintereisferner hat aufgrund des schneearmen Winters und des warmen Frühlings bereits zur Sommersonnwende seine ausgeglichene Bilanz im Vergleich zum vorigen Herbst erreicht. In den letzten zwei Jahren war der ‚Glacier Loss Day‘ erst etwa Ende August. Selbst in den Jahren mit negativen Bilanzextremen – wie zum Beispiel 2003 und 2018 – wurde dieser Tag erst Ende Juli erreicht“, verdeutlichte der Wissenschafter.

Klares Warnsignal für Klimawandel
Der Gletscherforscher rechnete daher mit einer extrem negativen Massenbilanz für den Hintereisferner: „Selbst wenn der Sommer 2022 ein ‚normal warmer‘ Sommer werden sollte, wird sehr viel Gletschereis schmelzen. Es ist jetzt bereits mehr als die Hälfte des Gletschers nicht mehr mit Schnee bedeckt und somit der Sonnenergie schutzlos ausgeliefert“, erklärte Rainer Prinz.
Diese Entwicklung liege außerhalb von bisher bekannten Schwankungsbreiten – sowohl der Massenbilanz als auch des Klimas. „Es handelt sich um eindeutige Klimawandel-Signale, die auf die menschengemachte Klimaerwärmung zurückzuführen sind. Das sind Folgen unserer Treibhausgasemissionen, die uns heute bereits voll treffen“, betonte der Experte.
Eigene Arbeitsgruppe beobachtet Gletscher
Das Team der Arbeitsgruppe „Eis und Klima“ des Instituts für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck untersucht den Hintereisferner seit 2016 mit einem hochmodernen System, das weltweit einzigartig sei, wie es hieß:
Mit so genannten terrestrischen Laserscannern werde die Oberfläche des Gletschers täglich abgetastet und damit die Veränderung der Masse vermessen. Das erlaubt den Forscherinnen und Forschern genaue Aussagen über die Massenbilanz und die präzise Ermittlung jenes Tages im Jahr, ab dem der Gletscher bis zum Beginn der kälteren Jahreszeit nur noch an Masse verliert.