Mikrobiologe Heribert Insam von der Uni Innsbruck
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Coronavirus

Experte sieht hohe CoV-Dunkelziffer

Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, als die CoV-Fallzahlen suggerieren. Das sagte Mikrobiologe und Abwasseranalytiker Heribert Insam von der Uni Innsbruck zum „Kurier“. Er widerspricht damit dem Land Tirol, das wiederum kontert.

Dass die derzeitige Coronavirus-Welle immer mehr ansteigt, zeigen die täglichen Neuinfektionszahlen. Die Welle ist laut Abwasseranalysen jedoch viel größer, als die Fallzahlen suggerieren. Wie der „Kurier“ am Freitag berichtete, zeigen die Daten über die Virenbelastung von Proben aus österreichischen Kläranlagen, dass die tatsächliche Zahl der Infektionen zumindest eineinhalbmal so hoch ist wie die der nachgewiesenen Fälle.

Insam: „Inzidenzen zeigen nicht die Wahrheit“

„Die Welle ist ganz klar größer, als die Zahlen vermitteln“, berichtete der Mikrobiologe Heribert Insam von der Universität Innsbruck. Er ist Projektleiter des SARS-CoV-2-Schulstandortmonitorings Österreich. Dieses wird in 108 Kläranlagen durchgeführt, neun davon in Tirol – darunter die größten in der Inntalfurche. Insam war einer der Ersten, der in Tirol mit seinem Team Coronaviren im Abwasser untersucht hat – mehr dazu in Forscher wollen CoV im Abwasser nachweisen.

Heribert Insam, Leiter Mikrobiologie Uni Innsbruck
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Heribert Insam untersucht mit seinem Team seit 2020 die Coronaviren-Last im Tiroler Abwasser

Derzeit würden sich hauptsächlich Menschen testen, die Symptome haben, was das Bild verfälsche: „Deshalb zeigen uns die Inzidenzen nicht die Wahrheit, sondern führen derzeit zu einer groben Unterschätzung des Infektionsgeschehens“, warnte Insam. Auch Infizierte ohne Symptome scheiden Virenfragmente aus, die ins Abwasser gelangen und dort nachgewiesen werden. Das gelte auch für Tirol, betonte er. Das Abwasser spiegle sehr gut die Lage wider.

Virenlast derzeit zwei Drittel der November-Welle

Die offizielle 7-Tage-Inzidenz für Tirol beträgt mit Stand Freitag 430,2. Insam argumentierte gegenüber ORF Tirol, dass die steigenden Abwasserwerte in Tirol derzeit etwa zwei Drittel der Belastung erreicht hätten, die in der November-Welle nachgewiesen werden konnte. „Und das war damals eine beträchtliche Welle.“ Die Bundesregierung hatte damals wegen der hohen Infektionszahlen sogar einen Lockdown ab dem 22. November 2021 verhängt.

Es gebe also in Tirol eine hohe Dunkelziffer, unterstrich der Mikrobiologe: „Die Signale im Abwasser weichen momentan stark von den Inzidenz-Werten ab. Das Abwasser-Signal ist derzeit circa doppelt so hoch wie das Inzidenzen-Signal, Tendenz steigend“, so Insam.

Experte widerspricht Einschätzung des Landes

Die Belastung des Abwassers mit viraler RNA geht laut dem Experten eindeutig in den Bereich der Delta-Welle im Herbst. Bei Delta gab es aber einen schwereren Erkrankungsverlauf. Die derzeit dominanten Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5 gelten wiederum als infektiöser.

Der Innsbrucker Mikrobiologe widerspricht mit seiner Warnung den offiziellen Aussagen des Landes. Am Donnerstag hatte der Leiter des Coronavirus-Einsatzstabes beim Land Tirol, Elmar Rizzoli, betont, dass es in Tirol „keine hohe Dunkelziffer“ gebe – mehr dazu in Starker Anstieg bei Abwassermonitoring. Bereits in der Vergangenheit war von Insam Kritik zur, wie er sagte, „fehlenden Transparenz“ des Landes bezüglich Abwasserdaten gekommen – mehr dazu in Abwassermonitoring: Tiroler „Datenloch“.

Gerichtsmediziner Herbert Oberacher im Labor: Dort werden die Abwasserproben untersucht
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Das Land Tirol erhält die Ergebnisse der Abwasser-Analysen von der Gerichtsmedizin

Land verteidigt eigene Abwasser-Tests

Das Land Tirol verteidigte gegenüber ORF Tirol die eigenen Abwasser-Analysen, durchgeführt von der Gerichtsmedizin. Man könne mit insgesamt 43 Kläranlagen in ganz Tirol ein deutlich aussagekräftigeres und vor allem flächendeckendes Bild für Tirol bekommen als Insam, der Daten von nur neun Tiroler Anlagen erhalte. Als Land verlasse man sich also auf sehr valides Zahlenmaterial aus einem dichten Netz an Monitoring-Punkten, so Elmar Rizzoli. Man bekomme täglich Ergebnisse aus den großen Klärwerken und alle zwei Tage Daten aus den kleinen. Das Schulstandort-Monitoring könne mit dieser Genauigkeit nicht mithalten, hieß es.

Heribert Insam wiederum erklärt sich die abweichende Einschätzung des Landes dadurch, dass das Landes-Abwassermonitoring auch die Werte kleinerer Kläranlagen in touristischen Gebieten mit einbezieht: „Auch wir haben in unserem Programm etwa die Anlage Obergurgl, wo derzeit wenige Touristen und Personal sind. Da haben wir momentan ganz niedere Werte. Rechnet man all diese kleinen Anlagen also auch mit ein, verzerrt das das Bild für ganz Tirol ganz entscheidend“, zeigte er sich überzeugt.