Technische Universität Innsbruck
ORF.at/Christoph Praxmarer
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Wissenschaft

Mehrlagen-Graphen offenbart Geheimnisse

Auf der Suche nach Supraleitern mit neuartigen Eigenschaften untersuchen Wissenschaftler Materialien, die aus mehreren Schichten bestehen. Forscher der Uni Innsbruck untersuchten die Eigenschaften von drei gegeneinander verdrehten Graphenschichten.

Das aus nur einer Lage Kohlenstoffatome bestehende Material Graphen fasziniert Forscher seit 20 Jahren. Zuletzt zeigten Physiker, dass mehrlagige Graphen-Sandwiches elektrischen Strom auch bei etwas über dem absoluten Nullpunkt liegenden Temperaturen verlustfrei leiten können.

Graphen kann Strom bei Zimmertemperatur relativ gut durch seine wabenartige, zweidimensionale Struktur leiten. Dieses Verhalten ist sehr gut verstanden und wird heutzutage als etabliertes Wissen im Studium der Physik gelehrt. Legt man jedoch zwei Graphen-Schichten in einem gewissen „magischen Winkel“ übereinander, tut sich erstaunliches, wie Mathias Scheurer vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck gegenüber der APA erklärte.

Elektronen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt

Ist die zweite Graphen-Lage um 1,1 Grad gegenüber der ersten Lage verdreht, kann durch dieses Sandwich auch knapp über dem absoluten Nullpunkt bei 0 Grad Kelvin oder minus 273,15 Grad Celsius Strom verlustfrei fließen. Es wird unter diesen Umständen zum Supraleiter.

Beim derartigen Überlagern der beiden regelmäßigen Schichten entsteht ein übergeordnetes Muster – eine Moiré-Struktur. Dadurch würden die Elektronen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und gezwungen, nahe beieinander zu sein, so Scheurer. Dadurch kommen die quantenphysikalischen Vielteilchen-Eigenschaften in dem Sandwich zum Tragen. Die Komplexität des Materials erhöht sich in der Folge deutlich.

Unter gewissen Bedingungen auch magnetisch

Neben der Supraleitung im System wird dieses unter gewissen Bedingungen auch magnetisch, erklärte Scheurer, der kürzlich einen mit 1,35 Millionen Euro dotierten „Starting Grants“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten hat. Es gibt aber auch Kombinationseffekte von den beiden Phänomenen – „das ist in der Natur extrem selten, weil sich die beiden eigentlich gegenseitig ausschließen“.

Mathias S. Scheurer
Universität Innsbruck
Mathias Scheurer

In zwei Arbeiten, die in den Fachmagazinen „Science“ und „Physical Review X“ veröffentlicht wurden, haben sich Scheurer und Kollegen nun einem dreilagigen Graphen-Sandwich angenähert. Dabei ist die mittlere Schicht im hier „magischen Winkel“ von rund 1,5 Grad verdreht und die beiden anderen möglichst deckungsgleich. In solchen Konfigurationen werde Graphen noch ein Stück weit „cooler“, so Mathias Scheurer.

Legt man dort kein äußeres elektrisches Feld an, zeigt der Aufbau die Eigenschaften eines zweilagigen, verdrehten Graphen-Sandwichs und zusätzlich können sich Elektronen dort auch so verhalten wie im normalen einschichtigen Kohlenstoff-Gitter. Beide Möglichkeiten oder Untersysteme sind gleichzeitig vorhanden. „Alleine das ist schon spannend“, zeigte sich Scheurer über die Ergebnisse erfreut.

Mit elektrischem Feld Verhalten „tunen“

Noch interessanter wird es aber, wenn ein elektrisches Feld angelegt wird: „Dann beginnen sich die zwei Untersysteme zu mischen.“ So könne man das Verhalten tunen, so Scheurer. Durch das Feld wird die Supraleitung tatsächlich bis zu einem gewissen Grad verstärkt und funktioniert bei noch etwas höheren Temperaturen.

Überschreitet man mit dem elektrischen Feld aber einen bestimmten Punkt springe das System spontan in einen isolierenden Zustand. Die theoretischen Berechnungen dazu und die Ergebnisse aus Experimenten stimmten erstaunlich gut überein, „was uns natürlich sehr freut“, sagte der Wissenschafter.

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Die neuen Erkenntnisse könnten einerseits dabei helfen, bisher unverstandene Aspekte der Supraleitung besser zu verstehen. Andererseits seien aber auch technische Anwendungen denkbar, wenn etwa in dem Material zielgenau zwischen widerstandsloser Stromleitung und Isolation hin und her geschalten werden kann, so der Physiker.