Zug im Bahnhof
ORF.at/Christian Öser
ORF.at/Christian Öser
Verkehr

Umstieg auf Öffis bringt Herausforderungen

Immer mehr Menschen nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Die Zahl der Jahreskartenbesitzer steigt, volle Züge und Busse zu den Stoßzeiten sorgen für Kritik. Ein Ausbau der Öffis sei wichtig, sagen Experten.

Beim Verkehrsverbund Tirol hat die Anzahl der verkauften Jahreskarten fast das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Knapp 127.000 Tirolerinnen und Tiroler besitzen eine Jahreskarte. Dazu kommen 7.800 Klimatickets Österreich mit Wohnsitz Tirol. Der vermehrte Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel wird spürbar, immer öfter sind Züge und Busse voll. Aus Sicht von Experten geht die Verkehrswende dennoch zu langsam. Nach wie vor würden zu viele Wege – vor allem kurze – mit dem Auto gefahren.

Markus Mailer ist Verkehrsplaner und leitet am Institut für Infrastruktur der Universität Innsbruck den Fachbereich Intelligente Verkehrssysteme. Er hat im Gespräch mit ORF Tirol wichtige Fragen zum Thema Mobilität beantwortet:

ORF Tirol: Warum fahren viele von uns, auch kurze Strecken, mit dem Auto, obwohl sie auch zu Fuß gehen oder Öffis nutzen könnten?

Mailer: Der Grund, warum Leute gerne Autofahren, liegt in der Natur des Menschen. Menschen sind an und für sich bewegungsfaul, zumindest was die Mobilität angeht. Während man in der Freizeit sehr fleißig auf den Berg geht und sehr aktiv ist, ist man das bei der Mobilität nicht.

Das Auto bietet einen sehr großen Vorteil: man spart Bewegung. Man hat keine Zugangswege zum öffentlichen Verkehr und muss sich nach keinen Fahrzeiten richten. Das heißt, das Auto verspricht sehr viel Flexibilität. Das, was dann an unangenehmen Dingen beim Auto dazu kommt, nämlich dass es eigentlich relativ teuer ist, verdrängen die meisten.

Autos stauen sich auf der Straße.
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Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Tirol arbeiten außerhalb ihrer Wohnsitzgemeinde.

ORF Tirol: Welche Art von Anstoß oder Motivation braucht es, damit mehr Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen?

Mailer: Sobald Menschen eine Routine entwickelt und sich daran gewöhnt haben mit dem Auto zu fahren, ist es schwierig eine Änderung herbeizuführen. Menschen neigen zu Routinen.

Um sein Verhalten zu verändern, braucht es immer drei Elemente: Man muss eine Motivation haben, also einen Grund warum man etwas verändern möchte. Das könnten zum Beispiel die hohen Spritpreise sein. Dann muss ich die Fähigkeit haben, ein anderes Verhalten zu haben, das könnte etwa eine Jahreskarte für die Öffis sein. Und dann brauche ich noch die Gelegenheit es anders zu machen, sprich ein gutes Angebot beim öffentlichen Verkehr. Wenn eines dieser drei Elemente nicht funktioniert, dann wird es auch keine Verhaltensänderung geben.

Verkehrsexperte Prof. Markus Mailer von der Universität Innsbruck
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Prof. Markus Mailer leitet am Institut für Infrastruktur den Fachbereich Intelligente Verkehrssysteme.

ORF Tirol: Würden mehr Menschen umsteigen, wenn die Öffis gratis wären?

Mailer: Gratis öffentlicher Verkehr bringt nichts, wenn das Angebot nicht stimmt. Auch wenn man nichts zahlt, wenn die Gelegenheit fehlt, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, dann funktioniert das nicht.

ORF Tirol: Wie beurteilen Sie in Tirol das Angebot im öffentlichen Verkehr?

Mailer: Das Angebot in Tirol ist sicher ein sehr gutes. Ich glaube, wir haben hier eine attraktive Mischung aus einem guten Tarif und einem guten Angebot. Tirol ist in Tälern strukturiert, da kann man öffentlichen Verkehr besser anbieten, als in der Fläche. Aber es gibt natürlich einige Bereiche, wo es sehr schwierig ist.

Abseits der Täler etwa, da beginnt die Reise mit dem eigenen Auto, weil man nicht direkt vor der Haustür in einem vernünftigen Abstand in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigen kann. Da ist wiederum die Frage, wie bekomme ich die Leute zum Umsteigen? Da braucht es etwa ein gutes Park and Ride Angebot.

Grafik über den Vergleich Pendlerkosten pro Jahr mit dem Auto und mit den Öffis
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Vergleicht man die Kosten und nimmt für den Pkw das amtliche Kilometergeld, und für die Öffis den Preis eines Klimatickets Tirol an, fährt man öffentlich günstiger.

ORF Tirol: Sind die Kapazitäten ausreichend?

Mailer: Wir haben die Herausforderung, dass wir eine Verhaltensänderung anstoßen wollen, nämlich die Mobilitäts- oder Verkehrswende. Die ist notwendig, wenn wir die Ziele beim Klimaschutz, aber auch Energieautonomie erreichen wollen. Wenn man den Impuls setzt, der notwendig wäre, damit die Leute umsteigen, dann haben wir schnell ein Kapazitätsproblem.

Uns muss bewusst sein, dass wir eine große Herausforderung haben, diese zusätzlichen Fahrgäste mit einem entsprechenden Angebot abzuholen. Wir haben es erlebt, bei der Tarifreform, dass viele auf den öffentlichen Verkehr gewechselt sind und die Qualität für die, die immer mit den Öffis gefahren sind, sich verschlechtert hat. Weil die Bahnen plötzlich voller waren, weil die Busse voller waren und da muss man natürlich mit einem Angebot nachschärfen.

ORF Tirol: Wie sieht der Zeitrahmen aus? Bis wann muss was passieren, damit ein Umstieg auf die Öffis gut funktioniert?

Mailer: Wenn man die Ziele bedenkt, die wir langfristig haben, also Klimaneutralität bis 2040 und Energieautonomie in Tirol bis 2050, dann müssen wir einen schnellen Wandel der Systeme herbeiführen. Die Systeme sind viel träger als man denkt, auch der öffentliche Verkehr. Da sind Investitionen in den Fuhrpark zu tätigen aber auch in die Infrastruktur. Wenn wir auf E-Mobilität umsteigen wollen, dann brauchen wir Oberleitungen, wir brauchen Ladestationen und dergleichen. Da braucht man viele Investitionen.

Wir haben scheinbar noch viel Zeit, um die Ziele zu erreichen, aber wir haben nicht mehr viel Zeit, um mit den Maßnahmen, die es dafür braucht, ernsthaft zu beginnen.