Karim El-Gawhary
ORF
ORF
Medien

Journalismusfest: Gast Karim El-Gawhary

Im Rahmen des Innsbrucker Journalismusfests hat ORF-Journalist Karim El-Gawhary am Samstag im Landesstudio Tirol über seinen Beruf gesprochen. Dabei erlebe er oft starke Ohnmachtsgefühle, schilderte der 58-Jährige. Er warnte vor einer möglichen Gefährdung der Glaubwürdigkeit Europas.

ORF-Journalist Karim El-Gawhary hat mit seiner langjährigen Tätigkeit als Krisen- und Kriegsberichterstatter aus dem arabischen Raum Bekanntheit erlangt. Derzeit liegt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dem Ukraine-Krieg. El-Gawhary befürchtete bei einem Gespräch im Zuge des Innsbrucker Journalismusfests am Samstagabend jedoch, dass sich der Fokus wieder erweitern könnte, wenn etwa Nahrungsmittelpreise stark steigen und für Unruhen im Nahen Osten oder Afrika sorgen.

Bei der Berichterstattung über den Krieg im Osten Europas erkannte er höher gelegte Standards, die sich in guten und auch auf persönliche Schicksale zentrierten Meldungen niederschlagen. „Ich hoffe, dass das dann auch bei Kriegen anderswo so passiert“, sagte der Leiter des ORF-Korrespondentenbüros in Kairo. Andernfalls handle es sich um Doppelstandards, welche die Glaubwürdigkeit Europas gefährden könnten.

Karim El-Gawhary
ORF
Karim El-Gawhary bezeichnet sich als vorsichtigen Menschen

Viertel der Bewohner lebt unter Armutsgrenze

Die Lage für die Bevölkerung habe sich in vielen Ländern seit dem Arabischen Frühling verschlechtert. Ein Viertel der Bewohner der arabischen Welt lebe abseits der Golfstaaten unter der Armutsgrenze. Zähle man jene hinzu, die kurz davor sind, darunter zu rutschen, seien es zwei Drittel, so El-Gawhary.

Problematisch sei, dass Diktatoren und Autokraten als „Garanten der Stabilität“ von der europäischen Politik wahrgenommen würden. Er wünschte sich ein Umdenken und eine ernsthafte Suche nach Lösungen für die Probleme der Region – andernfalls werde nie Ruhe einkehren, was sich nicht zuletzt auch auf Europa auswirke, mahnte der ORF-Journalist.

Tod von Journalistin macht El-Gawhary betroffen

Betroffen zeigte er sich über den Tod von Shireen Abu Akleh vom TV-Sender Al-Jazeera. „Es ist immer furchtbar, wenn Kollegen erschossen werden.“ Sie sei in der arabischen Welt eine Journalistenikone und Vorbild gewesen. El-Gawhary selbst hat im Zuge seiner Berichterstattungstätigkeit schon so manche heikle Situation überstanden, wie er mit mehreren Anekdoten belegte.

Einst schossen Kurden auf das Auto, in dem er mit seinem Team saß, weil sie dachten, es handle sich bei ihnen um ein Selbstmordkommando. Ein anderes Mal explodierte eine Autobombe in der Nähe seiner Unterkunft, wodurch die Fenster in die Wohnung gedrückt wurden. Er habe sich zu dem Zeitpunkt glücklicherweise im Badezimmer aufgehalten.

ORF-Reporter El-Gawhary über Krisen- und Kriegsberichterstattung

Im Rahmen des ersten Journalismusfestes in Innsbruck gibt es auch im ORF Tirol „Studio 3“ spannende Einblicke in die Krisen- und Kriegsberichterstattung. Nahost-Experte und ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary ist zu Gast.

„Ich bin ein vorsichtiger Mensch und überlege es mir dreimal, bevor ich wo hinfahre“, erklärte El-Gawhary, der auch als Nahost-Korrespondent für mehrere deutschsprachige Zeitungen schreibt. Schon mehrmals habe er gesagt, „Stopp, wir fahren hier nicht weiter“. Denn schließlich gebe es keine Geschichte, die so gut ist, dass man dafür riskiert, nicht mehr über sie berichten zu können. Wichtig sei bei seiner Arbeit als Kriegs- und Krisenberichterstatter auf die lokale Bevölkerung zu hören und ein sensibles Radar für die Lage zu entwickeln.

Dreifacher Vater will Beruf weiter ausüben

Seinen Beruf möchte er trotz teils gefährlicher Situationen mit nichts tauschen. „Es ist ein unglaubliches Privileg, diese Arbeit machen zu dürfen. Sie bringt einen durch alle sozialen Blasen“, so der dreifache Vater. Wichtig sei, die angetroffenen Menschen nicht zu Objekten zu machen, indem man von oben herab über sie berichtet. „Man muss ihnen auf Augenhöhe begegnen, ihnen Gesichter und Namen geben“, sagte El-Gawhary.

Von speziellem Interesse seien für den mehrfach ausgezeichneten Journalisten Themen und Gegebenheiten, die kaum in der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden. Dabei erlebe er oft starke Ohnmachtsgefühle, sagte der Korrespondent. Das sei unter anderem in einem Gespräch mit einer Frau geschehen. Sie war auf einem Markt verkauft worden, wurde anschließend vergewaltigt und zum Zeitpunkt des Gesprächs schlug sie sich mit einem kleinen Kind durchs Leben. Sie erzählte ihm, jeden Tag über Suizid nachzudenken, es aber aus Rücksicht auf das Kind nicht zu tun. „Was sagst du dann? Vielen Dank für das Gespräch?“, fragte sich El-Gawhary.