Die österreichischen EU-Abgeordneten, darunter die Tirolerin Barbara Thaler (ÖVP), sprachen nach dem Beschluss der neuen Lkw-Mautregeln (Eurovignette) von einer vertanen Chance – mehr dazu in EU-Wegekosten: Niederlage für Österreich. Zwar war der Grundgedanke der neuen Mautregeln, den Schadstoffausstoß bei Lkws zu berücksichtigen und auch Mautaufschläge für belastete Regionen vorzusehen. Es gebe aber zu viele Ausnahmen und Sonderregelungen, so Thaler. „Es fehlt an allen Ecken und Enden“, meinte die Tiroler EU-Parlamentarierin, von einer Ökologisierung auch im Sinne des Klimaschutzes sei man mit den neuen Regeln weit entfernt.
Auch die Verlagerungsziele von der Straße auf die Schiene seien so nicht zu erreichen. Zwar müssten die EU-Staaten innerhalb von vier Jahren externe Kosten für die Luftverschmutzung einführen, sie könnten davon aber auch eine Ausnahme beanspruchen, sagte Thaler. Auch sonst sei das neue Regelwerk ein Wirr-Warr.

Ministerin Gewessler setzt auf Verhandlungen
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) sah in der neuen Mautrichlinie zwar einzelne Verbesserungen, aus österreichischer Sicht sei es insgesamt aber eine Enttäuschung. „Denn jedes Jahr rollen immer größere LKW-Lawinen über unsere Straßen. Insbesondere die Tiroler Bevölkerung entlang des Brenners ist von den Auswirkungen – von Lärm, Staus und schlechter Luft – massiv betroffen. Sie ist an ihrer Belastungsgrenze angekommen“, konstatierte Gewessler. Sie finde es bedauerlich, dass die EU hier ihre Chance vertan hat, weitere Möglichkeiten für faire Bedingungen zwischen Schiene und Straße zu beschließen. Österreich müsse jetzt mit Deutschland und Italien weiter verhandeln, um Verbesserungen beim Transit in Tirol zu erreichen.
Der SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder im EU-Parlament kritisierte, in Zukunft würden höhere Mautaufschläge zur Bewältigung von Umwelt- und Verkehrsfolgekosten von der Zustimmung der am Korridor liegenden Mitgliedstaaten abhängig. „Wenn Deutschland und Italien jetzt eine höhere Brennermaut verhindern können, ist das untragbar.“ Eine unbedingt notwendige Entlastung für die Tiroler Bevölkerung gebe es jedenfalls nicht. „Das ist ein klares Versagen der türkis-grünen Landes- und Bundesregierung, Österreich steht auf EU-Ebene verkehrspolitisch völlig isoliert da“, kritisierte Schieder.
Enttäuschung bei schwarz-grüner Landesregierung
Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) kritisierte, dass auf EU-Ebene eine Entscheidung gefallen sei, „die regionale Notwendigkeiten völlig außer Acht lässt, die die Schiene weiter benachteiligt und den Transitdruck entlang des Brennerkorridors nochmals erhöhen wird“. Die EU müsse endlich erkennen, dass die derzeitige Verkehrspolitik in eine Sackgasse führe und der Unmut der Menschen über den Transit immer größer werde. Solange es hier kein Umdenken gebe, habe Tirol gar „keine andere Möglichkeit, als an strengen Fahrverboten und restriktiven Anti-Transit-Maßnahmen wie den Blockabfertigungen festzuhalten“.
Ähnlich reagierte LH-Stellvertreterin Ingrid Feilipe (Grüne), die in der Landesregierung für den Verkehr zuständig ist. Der ursprüngliche Entwurfsvorschlag hätte es Österreich ermöglicht, den Transitverkehr durch Tirol höher zu bemauten und durch die so erlangte Kostenwahrheit die Verlagerung auf die Schiene voranzutreiben. „Durch den Einfluss der mächtigen Transport- und Logistiklobbys wurde dieser Vorschlag verwässert – die Mauterhöhung bedarf nun der Zustimmung der jeweiligen Nachbarländer. Dieser Kniefall vor den Lkw-Lobbyisten bringt uns nun eine Wegekostenrichtlinie, die Tirol künftig wohl nicht weniger, sondern sogar noch mehr Lkw-Verkehr bescheren wird“, meinte Felipe. Auch sie verwies auf die Tiroler Fahrverbote und Lkw-Blockabfertigungen und betonte, „dass wir zumindest an den bisher geltenden Maßnahmen festhalten müssen, um den seit Jahren steigenden Lkw-Transit durch Tirol mit den uns auf Landesebene zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln zurückzudrängen“.
Kritik auch von Tiroler Opposition
Der SPÖ-Verkehrssprecher im Tiroler Landtag, Philip Wohlgemuth, zeigte sich ebenfalls mit der EU-Entscheidung nicht einverstanden. ÖVP und Grüne machte er jedoch mitverantwortlich. „Vermeintliche Machtworte“ von Gewessler und Platter seien „ungehört“ geblieben, die Tiroler EU-Abg. Barbara Thaler (ÖVP) habe sich als EVP-Verhandlerin „in keinster Weise durchsetzen“ können. Auf Landesebene nahm er die schwarz-grüne Landesregierung in die Pflicht, die der Tiroler Bevölkerung eine Entlastung vom Transitverkehr versprochen hatte. „Vier Jahre lang sind diesen Ankündigungen keine Taten gefolgt“, meinte Wohlgemuth.
Für FPÖ-Abgeordneten Gerald Hauser ist der Eurovignetten-Beschluss eine „Hiobsbotschaft“ aus Straßburg. Besonderer Dorn im Auge des Osttirolers war, dass eine Lkw-Mauterhöhung nur mit Zustimmung der Nachbarländer eingeführt werden kann. Damit werde „eine Preiserhöhung auf der Brennerstrecke unmöglich, weil Deutschland und Italien bereits in der Vergangenheit stets gegen eine Mauterhöhung“ gewesen seien. Österreich habe innerhalb der EU „kaum die Gelegenheit, sich durchzusetzen“, meinte er. Der Tiroler FPÖ-Obmann Markus Abwerzger sprach von einem „Trauertag für die transitgeplagte Tiroler Bevölkerung“.
Ein wenig überraschendes, aber umso enttäuschenderes Ergebnis sah auch der Tiroler NEOS-Verkehrssprecher Andreas Leitgeb. Bemühungen aus Tirol, noch Änderungen zu erwirken, seien „vergebens“ gewesen. Die Gesundheit und Sicherheit der Tirolerinnen und Tiroler „hat man heute dem Wohlwollen von Industrie und Frächtern geopfert. Niemand braucht sich künftig wundern, wenn wir an unseren Notmaßnahmen und Fahrverboten festhalten“, so der NEOS-Verkehrssprecher.
„Seit knapp 30 Jahren haben die Institutionen und Verantwortlichen in der EU nicht verstanden, dass in die engen Tiroler Täler nicht so viele LKWs passen, wie sich jeden Tag durchschlängeln“, beklagte die Liste Fritz die Entscheidung. Jedes Jahr gebe es neue Transit-Rekordzahlen, die rechte Fahrspur der beiden Tiroler Autobahnen sei mittlerweile fast durchgängig mit LKWs besetzt, so Parteichefin Andrea Haselwanter-Schneider. Die EU-Entscheidung unterstreiche jedenfalls, „dass wir beim Kampf gegen den Transitverkehr keine Partner und Verbündeten in anderen Ländern haben“. Die Verantwortung dafür liege auch bei den verantwortlichen Politikern in Land und Bund.

Für Transitforum „totes“ System
Das Transitforum sah in den EU-Mautregeln ohnehin ein völlig unzulängliches System. Mit dem Eurovignetten-Beschluss werde der Transitverkehr zwar kaum zunehmen, meinte Transitforum-Obmann Fritz Gurgiser mit Blick auf die Tiroler Maßnahmen wie die Blockabfertigung. Das EU-Mautsystem habe aber nur mehr den Sinn, „das kranke, hochsubventionierte Hin- und Hergekarre auf Grundlage billigster Mauten, billigst angemeldeter Transit-Lkw ebenso wie billigst angemeldeter Lkw-Fahrer“ mit allen Mitteln aufrecht zu halten, kritisierte Gurgiser.
Selbst die Wirtschaftskammer (WKÖ) bezeichnete die Richtlinie als „wenig zufriedenstellend“, wenn auch aus anderem Blickwinkel. Laut Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr, wurden „Chancen auf eine stärkere Harmonisierung der Mautsysteme innerhalb der EU“ nicht genützt. Der WKÖ sei es nun wichtig, „dass es weder in Österreich noch auf EU-Ebene zu Doppelbesteuerungen von CO2 kommt“. Außerdem hätte er sich eine stärkere Verpflichtung zur Zweckbindung der Mauteinnahmen gewünscht. „Sie müssen in den Straßenverkehrssektor reinvestiert werden“, verlangte Klacska.