Gastronomie im Lockdown
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Coronavirus

Experten sehen Gefahr von Lockdown

Experten wie der Intensivmediziner Walter Hasibeder oder die Virologin Dorothee von Laer sehen die Gefahr eines weiteren Lockdowns. Einen Grund sehen sie in der stagnierenden Durchimpfungsrate. „Die Erwachsenen sollen sich verdammt noch einmal impfen lassen“, fordert etwa von Laer.

An einem weiteren Lockdown im Oktober schramme man entweder vorbei oder schlittere gerade hinein, so die Virologin von der Innsbrucker Meduni Dorothee von Laer am Freitag in der ZIB 2. Jetzt müsse man Versuchen, die gesetzten Maßnahmen wie die Drei-G-Regel konsequent umzusetzen und zu kontrollieren. Man müsse gegensteuern, denn auch die bald wieder geöffneten Schulen würden das Infektionsgeschehen wieder anfachen.

Virologin von Laer zur aktuellen CoV-Lage

Die CoV-Lage in Österreich spitzt sich zu, die Zahl der Intensivpatienten steigt stark. Die Virologin Dorothee von Laer spricht darüber, ob ein neuer Lockdown droht sowie über neue Varianten und welche Maßnahmen im Herbst vertretbar sind.

Nicht auf dem Rücken der Schulen

Das Konzept für die Schulen sei exzellent und man solle weitere Maßnahmen nicht auf dem Rücken der Schulen machen, die Erwachsenen sollen sich verdammt noch einmal impfen lassen“, forderte die Virologin. Jedem müsse klar sein, dass er irgendwann erkranke, wenn er sich nicht impfen lasse.

Bis über 90 Prozent der Bevölkerung immun seien, werde das Virus keine Ruhe geben. Es werde aber einen Punkt geben, wo man es durchlaufen lassen müsse. Man solle damit aber jedenfalls noch warten, bis Ältere mit nachlassendem Immunschutz ihre Auffrischungsimpfung bekommen haben und Risikokinder geimpft seien. Ein Impfstoff für die Kleineren sei in greifbarer Nähe, so die Virologin, die hofft, dass es im Winter so weit sein könnte.

Kritik an „Impfstoffverschwendung“ bei Genesenen

Weiters kritisierte von Laer, dass Genesene nicht als genesen gelten, wenn es keinen positiven PCR-Test gegeben habe. Wenn jemand eindeutig positive Antikörper-Tests beim Nukleoprotein und beim Spikeprotein-Antikörper aufweise, dann sei derjenige genesen. Diese müssten aber genauso zwei Impfungen nehmen, „was völlig unsinnig ist“. Das sei eine Verschwendung von Impfstoff. Zu den weiteren auftauchenden Varianten sagte von Laer, dass es momentan nicht so ausschaut, dass die Delta-Variante getoppt werde.

Hasibeder warnt vor Absagen geplanter Operationen

Der Intensivmediziner Walter Hasibeder sieht „durchaus die Gefahr, dass man in einen vierten Lockdown geht“, wenn die Durchimpfungsrate weiterhin bei rund 60 Prozent bleibt. Auch ohne eine Überlastung der Intensivstationen könnten zudem in großem Maß Planoperationen wieder abgesagt werden müssen, warnte der Präsident der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) gegenüber der APA. Derzeit sei eher die Belegung der Normalbetten ein Problem.

Intensivstationen füllen sich wieder

„Das kann sicher bald der Fall sein“, sagte Hasibeder dazu, dass etwa orthopädische oder unfallchirurgische Operationen verschoben werden müssten. In den österreichischen Krankenhäusern lagen am Freitag 543 Patienten mit Covid-19. Davon benötigten 149 Menschen eine Intensivbetreuung, ein Anstieg von 45 Patienten innerhalb einer Woche. „Wir nähern uns der 200er-Marke“, sagte Hasibeder. Bei etwas mehr als 2.000 Intensivbetten in Österreich wären das zehn Prozent Auslastung mit Infizierten. „Gefährlich wird es dann, wenn man zehn bis 30 Prozent der Betten mit Covid-Patienten auffüllt“.

Kostenpflichtige Tests statt Impfpflicht

„Im Moment viel interessanter“ als nur die Auslastung der Intensivstationen sei aber die Zahl der Hospitalisierungen insgesamt – „und wenn die steil nach oben geht, muss man Maßnahmen verschärfen, das ist gar keine Frage“, meinte Hasibeder im Gespräch mit der APA. Zu überlegen sei wieder eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen. „Klar wird man weiter viel testen müssen“, forderte Hasibeder. Er riet dazu, dass man die Testungen, „wenn man schon keine Impfpflicht machen will, kostenpflichtig macht“.

Eine Pandemie der Ungeimpften

Nachdem die ältere, vulnerable Bevölkerung zum Großteil geschützt ist und jüngere oft weniger schwer erkranken, habe sich in anderen Ländern bereits gezeigt, dass zunächst Normalstationen überfüllt waren, erläuterte der Ärztliche Leiter der Anästhesie und Operativen Intensivmedizin am Tiroler Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. Die Krise habe sich auf eine „Pandemie der Ungeimpften“ reduziert. In seinem Spital würden aktuell fünf SARS-CoV-2-Infizierte auf der Normalstation und ein Covid-Patient intensiv behandelt, „alle sind ungeimpft und alle unter 60 Jahren“, betonte Hasibeder.

Auch erhöhte Gefahr von Diabetes nach Infektion

Der Arzt warnte jedoch auch die Jüngeren vor der ansteckenderen und häufig schwerer verlaufenden Delta-Variante und generell vor einer Infektion. Die ersten Wochen nach einer Covid-19-Erkrankung bestehe etwa ein höheres Risiko für einen Herzinfarkt und für mehrere Monate auch an neuaufgetretener Diabetes zu erkranken, berichtete Hasibeder. Zudem hätten auch 16- bis 30-Jährige laut einer norwegischen Studie zu über 50 Prozent ein halbes Jahr nach der Erkrankung immer noch Symptome wie Geruchs- und Geschmacksstörungen, gefolgt von Erschöpfung und – am dritthäufigsten – Konzentrationsstörungen.

Appell, sich impfen zu lassen

Der ÖGARI-Präsident hat „kein Verständnis dafür“, dass sich viele Menschen nicht impfen lassen. „Was man sieht, ist ein gewisser Frust beim Pflegepersonal“, berichtete er auch von Kollegen. Dieses beschäftige die Frage, warum sich Menschen nicht impfen lassen, warum sie schwer erkranken und im Krankenhaus behandelt werden müssen. Das sei eine Belastung für Pflegekräfte, die nun wieder in voller Schutzausrüstung arbeiten, sagte Hasibeder. „Bitte lassen Sie sich impfen. Es ist keine harmlose Erkrankung, sondern unter Umständen eine sehr, sehr schwere Erkrankung, die einem möglicherweise lange bleibt, wenn man sie überlebt.“

Ob die Grippesaison wie im Vorjahr ausbleibt oder diesen Winter eine zusätzliche Belastung für die Spitäler werden könnte, ist laut Hasibeder davon abhängig, welche Influenza-Stämme vorherrschend sein werden und ob diese hoch ansteckend sind. Eine möglicherweise erneut verschärfte Maskenpflicht sei jedenfalls auch „eine der besten Schutzmaßnahmen gegen die Influenza“.