Frau am Mikroskop
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Wissenschaft

Innsbrucker Wissenschafter züchten Adern

In Innsbruck beginnt ein Team von Molekularbiologinnen und Biotechnikern dieser Tage, aus Stammzellen Adern zu züchten. Diese Blutgefäße aus dem Labor sollen künftig neue Behandlungsmöglichkeiten für schwer heilende Wunden und Durchblutungsstörungen bieten, von denen vor allem Diabetiker betroffen sind.

Unter dem Mikroskop schauen die Stammzellen aus wie formlose Klumpen. Es sind Grundbausteine des menschlichen Körpers, aus denen je nach Behandlung alles werden kann: vom Kleinhirn bis zum großen Zeh. „Unbeschriebene Blätter“ nennt sie David Hoffmann, der wissenschaftliche Leiter des Teams, das es sich zur Aufgabe macht, solchen Stammzellen einen klar strukturierten Lebenslauf ins Stammbuch zu schreiben. Die Herausforderung liege darin, dafür zu sorgen, dass aus den Stammzellen Blutgefäße werden und nicht etwa Knochen oder Nerven, sagt der Forscher.

Stammzellen roh
Angios GmbH
„Unbeschriebene Blätter“: ungeformte Stammzellen unter dem Mikroskop

„Rankgitter“ für wachsende Zellen

Nährlösungen und präzise dosierte und getimte Zusätze sollen die Entwicklung der Zellen in die gewünschte Richtung leiten. Um das innovativste Rüstzeug zu erhalten, stehen die Innsbrucker Wissenschafter in Kontakt mit Biotechnologieunternehmen in aller Welt. Aktuell untersucht Molekularbiologin Elisabeth Pfeiffenberger etwa ein vielversprechendes Gel, das in Skandinavien entwickelt wurde. Es soll die Zellen animieren, entsprechende Sporen auszubilden. „Eine Matrix, die unter dem Mikroskop aussieht wie ein Rankgitter, was auch seiner Funktion entspricht“, sagt sie.

Stammzelle treibt aus
Angios GmbH
Erste „Triebe“: eine Stammzelle beginnt sich zu differenzieren

Josef Penninger, geboren 1964 in Gurten (Oberösterreich) studierte von 1982 bis 1988 Medizin in Innsbruck. Er war wissenschaftlicher Direktor des Molekularbiologie-Instituts der Akademie der Wissenschaften (2003 bis 2018). Er hat über 700 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem mit sieben Millionen Dollar dotierten Innovator Award des US Pentagon für seine Arbeit zur Brustkrebsforschung.

Spitzenforscher Penninger als Ideengeber

Die Idee zu dieser Forschungsarbeit stammt vom Gentechniker und Immunologen Josef Penninger, der in Innsbruck studiert hat und derzeit das biowissenschaftliche Institut der Universität von British Columbia leitet. Um den Plan umzusetzen, hat er mit dem Innsbrucker Betriebswirt Gregor Wick, der seit Jahrzehnten Biotechnologieunternehmen berät, und dem Molekularbiologen David Hoffmann die Angios GmbH gegründet.

Mit an Bord sind drei Molekularbiologinnen und Biotechnikerinnen, die ebenfalls in Innsbruck ausgebildet wurden. Gemeinsam sollen sie die Laboradern in den kommenden Jahren so weit entwickeln, dass sie klinisch erprobt werden können.

„Da sind Steilwände zu erklimmen“

Die Entwicklung bis zum Praxiseinsatz vergleicht Penninger mit einer gewagten Bergtour. Da gebe es einige Steilwände zu erklimmen, sagt er. Entscheidend sei etwa, die Zellen so auszuwählen und zu gestalten, dass sie von möglichst vielen menschlichen Organismen angenommen und nicht etwa abgestoßen werden, denn das Ziel sei es, die Laboradern Menschen einzupflanzen, die sie medizinisch benötigen. „Diabetiker zum Beispiel. Davon gibt es 450 Millionen weltweit. Und der Grund, warum sie an schlecht heilenden Wunden leiden, ist, dass ihre Blutgefäße strukturell nicht mehr gut funktionieren. Denen wollen wir neue Blutgefäße zurückgeben. Wenn wir das schaffen, sind wir die ersten der Welt, das wird dann wirklich spektakulär“, so Penninger.

Josef Penninger im Labor
IMBA/IMP
„Wenn wir das schaffen, sind wir die ersten der Welt.“ Josef Penninger in seinem Labor in Wien

„In drei bis fünf Jahren müssen wir liefern“

Penningers Zuversicht hat auch Geldgeber angezogen. Ein kanadischer Investor streckt vier Millionen Dollar vor, das Land Tirol fördert die Angios GmbH mit 1,6 Millionen Euro und stellt die Laborräumlichkeiten im Westen der Landeshauptstadt zur Verfügung. Dass die Sponsoren Ergebnisse sehen wollen, schaffe natürlich auch einen gewissen Druck, sagt David Hoffmann, der wissenschaftliche Leiter: „Weil wir wissen, wir haben für eine gewisse Zeit Geld, und in der Zeit müssen wir nennenswerte Resultate liefern. Aber das fokussiert und verbindet auch, weil wir unser Ziel gemeinsam verfolgen." In spätestens drei bis fünf Jahren müsse man liefern, sagt Hoffmann.

Wer zum Team gehören wolle, müsse hohe Anforderungen erfüllen, sagt Geschäftsführer Gregor Wick: „Wir brauchen Leute, die top ausgebildet sind, und finden sie auch an der Uni Innsbruck. Sie sollten vielleicht nicht unbedingt um 16 Uhr die Arbeit liegen lassen, risikobereit sein und auch keine Angst vor Rückschlägen haben.“ Denn Scheitern sei möglich. Und dann? – „Dann haben wir’s versucht und sicherlich einen Beitrag zur Wissenschaft geleistet. Unsere Ergebnisse werden ja publiziert", sagt Hoffmann. „Und dann kann man nur hoffen, dass aufgrund unserer Erfahrungen andere Erfolg haben, wo wir gescheitert sind.“

Team im Labor
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Teamwork: „Top ausgebildet, fokussiert, risikobereit“

Zweitprojekt: Antikörper zur Erhaltung der Sehkraft

Josef Penninger aber macht seiner Innsbrucker Mannschaft jedenfalls Mut: „Die Nordkette (Gebirgszug nördlich von Innsbruck) ist nicht zum Fürchten da, sondern zum Hinaufklettern", sagt er. Und für den unwahrscheinlichen Fall eines Absturzes arbeite Angios ja an einem zweiten Projekt. In Zusammenarbeit mit einem großen kanadischen Biotechnologieunternehmen analysieren und testen die Innsbrucker Wissenschafter Antikörper, die künftig helfen sollen, die von Diabetes verursachte Erblindung zu verlangsamen. „Das schaffen wir sicher“, sagt Penninger. Und damit sei man finanziell zumindest abgesichert.

Blutgefäße aus dem Labor als Goldadern?

Wenn hingegen die gezüchteten Blutgefäße zum Erfolg werden, könnten sie sich als wahre Goldadern erweisen. „Kann sein. Es gibt viele Beispiele auf der Welt, wo Leute mit Ideen reich geworden sind“, sagt der Ökonom Gregor Wick: „Das darf natürlich nicht das einzige Ziel sein. Aber es muss jedem klar sein: das ist ein Ziel.“

Seine Forscherkollegen hingegen denken für den Fall eines Erfolges schon weit über den „schnöden Mammon“ hinaus. Weltweit werde derzeit bereits an der Züchtung ganzer Organe geforscht, wie etwa Lebern oder Bauchspeicheldrüsen, sagt Penninger. Wer für diese Forschungen bereits fertige Blutgefäße zur Verfügung stellen könnte, wäre wahrlich am Puls der Zeit.