Teichfrosch
ORF.at/Georg Hummer
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Umwelt

Zwischen Artensterben und Hoffnung

Obwohl in Tirol viele Naturschutzgebiete vorhanden sind, verschwinden immer mehr Tiere und Lebensräume. Zwar setzen sich viele Bürgerinitiativen für den Erhalt ökologischer Vielfalt ein, die Umweltanwaltschaft sieht aber durchaus noch Luft nach oben.

Der Naturschutz hat in Tirol eine lange Tradition. „Speziell die bäuerlichen Strukturen, die im 19. Jahrhundert vorherrschend waren, hatten positive Einflüsse auf Natur und Umwelt, auch was die Artenvielfalt betrifft. Früher wurden vor allem in den hochalpinen Bereichen in ganz Tirol Schutzgebietsgrenzen festgelegt – und diese wurden in den 1960er Jahren schließlich auch verordnet“, erklärte der stellvertretende Umweltanwalt des Landes Tirol, Walter Tschon.

Der stellvertretende Umweltanwalt von Tirol, Walter Tschon
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Walter Tschon ist Tirols stellvertretender Umweltanwalt

Derzeit gibt es in Tirol 90 Schutzgebiete, die sich über mehr als ein Viertel der Landesfläche erstrecken. Damit liegt Tirol weit über dem Bundesdurchschnitt. Speziell dort sei die Lebensraumqualität sehr hoch, so Tschon. In den vergangenen Jahren hat sich die geschützte Fläche stetig vergrößert. Erst im März diesen Jahres wurde etwa das Naturschutzgebiet am Kaunergrat um 13.000 Hektar erweitert. Zusätzlich dazu befinden sich auch fünf Naturparks auf Tiroler Landesfläche. Mit dem Nationalpark Hohe Tauern, der sich über Tirol, Salzburg und Kärnten ausdehnt, liegt außerdem auch der größte Nationalpark im Alpenraum zum Teil in Tirol.

Der Rote Apollo – stellvertretend für über 1000 Schmetterlingsarten die in den Naturschutzgebieten des Naturparks Kaunergrat einen unverzichtbaren Lebensraum gefunden haben.
Die Naturfotografen/Reinhard Hölzl
Mit dem Lebensraum schwinden in Tirol auch immer mehr Insektenarten

Immer mehr Arten verschwinden

Trotzdem gibt es in den vergangenen Jahren auch negative Entwicklungen zu beobachten. „Es gibt nach wie vor Tendenzen, die es schnellstens zu stoppen gilt. Wir verlieren zahlreiche Arten, speziell im Insektenbereich, aber auch bei den Vögeln.“ Als Beispiel nannte der Umweltanwalt die Vogelart Ortolan, die infolge der Intensivierung des Ackerbaus, der Zerstörung von Feldwegen und des immensen Siedlungsbaus in Tirol nicht mehr vorkommt.

Aber auch andere Tierarten sind betroffen. Gefährdet und fast zur Gänze aus Tirol verschwunden sind beispielsweise die Barbe, eine ehemals heimische Fischart, die Kreuzkröte, die Kleine Hufeisennase, eine Fledermausart, oder die Bayrische Kurzohrmaus. Der Rückgang dieser Arten sei ein Indiz dafür, „dass wir immens aufpassen müssen, dass wir spezielle Zeigerarten nicht in weiteren Bereichen verlieren.“ Dies könnte weitere negative Auswirkungen auf andere Spezies haben, so der stellvertretende Umweltanwalt.

Moorpflanzen in der Wörgler Filz
Philipp Larch
Moore speichern Unmengen von Wasser und binden viel Kohlenstoff

Zu viel Zivilisation, zu wenig Natur

Hinzu komme, dass auch immer mehr Feuchtgebiete und Moore verschwinden. „Das sind ganz sensible Ökosysteme, die dazu beitragen, auch für das Klima entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen. Bedauerlicherweise sagt jeder nur: ‚Das ist ja nur das kleine Moor, das verloren geht.‘ Aber in der Summe macht das natürlich sehr viel aus.“ Drei Punkte seien laut Umweltanwaltschaft zentral für den Artenverlust in Tirol: der Verkehr, die Bodenversiegelung und die Lärmbelastung durch unterschiedliche Aktivitäten.

In puncto Naturschutz sieht der stellvertretende Landesumweltanwalt daher jede und jeden in der Pflicht. „Allgemeininteresse ist nicht Summe von Einzelinteressen – und da hapert es in Tirol noch schwer. Da will ich jetzt nicht nur auf den Tourismus anspielen, das ist auch in der Industrie der Fall. Aber das beginnt ebenso bei den Interessen von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern. Jeder ist für Natur- und Umweltschutz, aber wenn es dann um die Umsetzung geht, will jeder für sich Ausnahmen in Anspruch nehmen“, kritisierte Tschon.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Das Forchet bei Haiming
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Das Forchet bei Haiming gilt als einzigartiger Talwald…
Wiese im Forchet bei Haiming
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… mit besonderer Flora und Fauna.
Eine heimische Orchideenart im Forchet bei Haiming
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Dazu zählen etwa heimische Orchideenarten…
Schmetterling im Forchet bei Haiming
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… und eine vielfältige Insektenwelt.

Unterstützung für Initiativen

Das Land Tirol vergibt Förderungen für die Umsetzung von Naturschutzprojekten. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Landes Tirol über 140 Anträge eingereicht und insgesamt 2,1 Millionen Euro für die Projekte ausgeschüttet.

Zudem wurde für 2021 ein „Naturschutzschwerpunkt“ mit zusätzlichen Geldern in der Höhe von neun Millionen Euro für den Naturschutz beschlossen.

Wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung

Positiv stimmt die Landesumweltanwaltschaft die steigende Anzahl an Bürgerinitiativen, die sich für den Erhalt ökologischer Vielfalt einsetzen – etwa die Bewegung „Schützt das Forchet“ in Haiming (Bezirk Imst). „Es zeigt sich, dass sich immer mehr Menschen sehr aktiv und pointiert bei Umweltprojekten einbringen. Diese tragen viel dazu bei, dass in Tirol ursprüngliche und Kulturlandschaften erhalten bleiben.“ Insbesondere junge Menschen trügen sehr viel dazu bei, dass man positiv gestimmt in die Zukunft schauen könne.

Tschon ist nicht der Meinung, dass es zu spät für den Naturschutz sei. Die Menschheit habe noch Möglichkeiten, durch entsprechendes Einlenken in vielen Bereich Natur und Umwelt zu schützen. „Wir haben mittlerweile als Gesellschaft erkannt, dass wir so nicht weitermachen können“, meinte der stellvertretende Landesumweltanwalt. Besonders wichtig sei deshalb die Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltthemen.

Weggerissene Brücke
APA/ZOOM.TIROL
Der Handlungsbedarf wird nicht zuletzt durch Extremereignisse deutlich

Politik ist gefordert

Da die Natur im Gegensatz zu Landwirtschaft, Tourismus oder Industrie keine eigene Stimme besitzt, die ihre Interessen vertritt, ist das Engagement der Bürgerinnen und Bürger umso wichtiger. Tschon ortet vor allem bei der Politik Aufholbedarf: „Es wird immer noch wichtiger werden, dass der Natur- und Umweltschutz verstärkt wahrgenommen wird. Und zwar nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, sondern dass es auch in den Entscheidungen und Maßnahmen seinen Niederschlag findet.“

Nicht zuletzt mit Blick auf die jüngsten Hochwasserereignisse fordert Tschon, „dass nicht nur ein Umdenken stattfindet, sondern dass dies auch in klaren Handlungsanweisungen mündet. Und dass die Hebel viel mehr auf Natur- und Umweltschutz umgestellt werden. Wir haben Anfang der 2000er Jahre noch eine ganz klare Strategie gehabt: im Zweifel für die Wirtschaft. Und nun muss es auf alle Fälle heißen: im Zweifel für die Natur.“