Knapp über 50 Prozent aller impfberechtigten Tirolerinnen und Tiroler erhielten bislang beide Teilimpfungen und gelten somit als vollimmunisiert. In den vergangenen Wochen ebbte der Impffortschritt jedoch ab. Das Land versuchte mit Impfwochenenden ohne Anmeldung weiterhin viele Menschen für eine Impfung zu motivieren. Eine Durchimpfungsrate von nur etwas über 50 Prozent sei aber zu wenig, wolle man vollständig zur Normalität zurückkehren, so die Virologin Janine Kimpel.
60 bis 70 Prozent reichen nicht aus
Zu Beginn der Impfkampagne gingen viele Medizinerinnen und Mediziner davon aus, dass mit einer Durchimpfungsraten von 60 bis 70 Prozent eine Herdenimmunität in der Bevölkerung geschaffen werden könnte. „Das galt für die Virusvariante, die am Anfang kursiert ist. Mittlerweile gibt es etwas ansteckendere Varianten. Jetzt braucht man mehr immune Personen, damit sich das Virus totläuft“, so Janine Kimpel von der MedUni Innsbruck.
Wie viel Prozent laut aktuellem Stand geimpft sein müssten, um eine Herdenimmunität zu erreichen, wisse man derzeit nicht ganz genau. „Wahrscheinlich sollten von den impfbaren Personen aber nahezu alle geimpft sein“, sagte Kimpel im Gespräch mit dem ORF Tirol.
Potential bei jungen Menschen
Einiges an Potential sah auch sie bei jungen Menschen. Nur etwas über 30 Prozent der Menschen unter 30 erhielten bisher zumindest eine Teilimpfung – mehr dazu in Junge Menschen noch relativ wenig geimpft. In der Regel hätten laut der Virologin junge Menschen meist mehr Kontakt zu anderen Personen als ältere Menschen. Darum sei vor allem bei dieser Altersgruppe eine hohe Durchimpfungsrate wichtig, wie neben Kimpel auch die Gesundheitslandesrätin Annette Leja (ÖVP) betonte.
Zu einer möglichen Impfpflicht meinte die Medizinerin, dass dadurch die Zahlen besser kontrolliert werden könnten und man wahrscheinlich auch keine starke vierte Welle inklusive Lockdown befürchten müsse. Schließlich sei es aber „eine gesellschaftspolitische Entscheidung“.
„Mit Sicherheit“ weitere Virus-Varianten in Zukunft
Die Virologin geht „mit Sicherheit“ davon aus, dass auch in Zukunft weiter Coronavirus-Varianten folgen werden. Davon sprach vor kurzem auch ein Team vom Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg. Laut ihnen sei jeder Mensch, der über den Pandemieverlauf infiziert ist, "wie ein Mini-Bioreaktor“ – also eine mögliche Mini-Brutstätte einer neuen Variante – mehr dazu in Maßnahmen bis Ende der Impfkampagne sinnvoll.
Das Team vom IST stellte in einer aktuellen Arbeit auch einen paradox wirkenden Effekt fest. Laut ihren Analysen ist das Risiko, dass sich eine Fluchtvariante etabliert, dann erhöht, wenn bereits ein großer Teil der Bevölkerung geimpft ist, die Übertragungswege aber gleichzeitig nicht durch Eindämmungsmaßnahmen kontrolliert werden. Die Vorteile einer Fluchtvariante kämen nämlich dann deutlicher zum Tragen, wenn bereits viele Menschen gegen einen Wildtyp immunisiert sind, so könne sich die Fluchtvariante schneller in einer Bevölkerung verteilen.
Maßnahmen laut Medizinern noch länger sinnvoll
Laut Institute of Science and Technology erscheine es nicht sinnlos, trotz Impfung weiterhin eine Maske zu tragen. Es sei nämlich immer möglich, dass ein unerkanntes resistentes Virus bereits existiert. Diesen Varianten müsse man auch am Ende der Impfkampagne die Übertragungswege abschneiden, hieß es vom IST. Janine Kimpel glaubt auch, dass die Bevölkerung einige Maßnahmen bis über den kommenden Winter hinaus begleiten werden. Vor allem bei Indoor-Veranstaltungen könnten laut ihr weiterhin einige Regeln, wie zum Beispiel die 3-G-Regel, gelten, um „Superspreading-Events“ zu vermeiden.
Virus hat eventuell nur gewissen Spielraum für Mutationen
Das Coronavirus werde die Menschheit in einigen Jahren immer wieder mit teils stärkeren und teils schwächeren Wellen beschäftigen, glaubt die Virologin. Ähnlich wie mit der Grippe werde man auch mit dem Coronavirus leben müssen. "Das gute am neuen Coronavirus ist, dass wir immer die gleichen Mutationen in den ganzen Varianten sehen.
Das Virus hat wahrscheinlich nur einen gewissen Spielraum, wo es sich verändern kann. Wir sehen also immer wieder die gleichen Mutationen in unterschiedlichen Varianten", erklärte Janine Kimpel. Laut ihr könne man mit einem angepassten Impfstoff auch gegen diese Varianten gut schützen.