Material der Schuldnerberatung
APA/BARBARA GINDL
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Wirtschaft

Tiefststand bei Unternehmenspleiten

Im ersten Halbjahr 2021 sind in Tirol nur über 60 Betriebe Insolvenzverfahren eröffnet worden. Nach Angaben des Kreditschutzverbandes von 1870 (KSV1870) wurde damit ein historischer Tiefststand erreicht. Auch die Zahl der Privatinsolvenzen ging weiter zurück.

Im ersten Halbjahr des Jahres 2021 wurden hochgerechnet über 38 Tiroler Betriebe Insolvenzverfahren eröffnet. Zudem gab es mangels genügend Vermögen zu 22 nichteröffnete Insolvenzverfahren. Somit wurden insgesamt 60 Unternehmen insolvent. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 bedeutete dies ein Minus von 40,6 Prozent. In ganz Österreich gibt es 1.000 Insolvenzen. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Rückgang um 48,1 Prozent.

Die Passiva beliefen sich dabei tirolweit auf 17 Millionen Euro, ein Jahr zuvor lag diese Summe bei 59 Millionen.

„Eingriffe halten Unternehmen künstlich am Leben“

Als Hauptgrund für die geringe Zahl an Pleiten nannte der KSV1870 die zahlreichen Eingriffe der öffentlichen Hand in ein an sich gut funktionierendes Insolvenzwesen. Dadurch würden Unternehmen künstlich am Leben erhalten.

Je länger dies dauere, desto größer werde der gesamte volkswirtschaftliche Schaden sein, denn diese ins Straucheln geratenen Unternehmen würden Betriebe gefährden, die aktuell noch finanziell gesund seien, betonte Klaus Schaller, Regionalleiter West des KSV1870.

Unternehmenspleiten 1. Halbjahr (Angaben KSV1870)

Alpen Modul GmbH Innsbruck € 3,4 Mio.
L.S. Technik Schimpfössl GmbH Landeck € 3,0 Mio.
K & S Bauelemente GmbH Ampass € 1,6 Mio.

Stundung der öffentlichen Abgaben läuft aus

Mit Auslaufen der Stundungen der öffentlichen Abgaben – Steuern und Sozialversicherungsabgaben – mit 30. Juni ändern sich die Voraussetzungen für viele Betriebe in Österreich. Ab diesem Zeitpunkt müssen Wirtschaftsbetriebe jedenfalls die laufenden öffentlichen Abgaben abführen.

Die coronabedingt gestundeten Steuern und Beiträge der letzten Monate können die Betriebe in zwei Phasen in Raten leisten. Bis längstens 30. September müssen mindestens 40 Prozent des Abgabenrückstandes in angemessenen Raten bezahlt werden. Bis Juni 2024 muss der Rest des Außenstands beglichen werden.

„Saftey-Car-Phase“ als zusätzliche Unterstützung

Liquiditätsschwache Unternehmen werden in den kommenden drei Monaten durch eine „Safety-Car-Phase“ zusätzlich unterstützt. Während dieser drei Monate müssen diese Unternehmen nur sehr geringe Rückführungen an die öffentlich-rechtlichen Stellen leisten.

Der KSV1870 rechnet trotz verschiedener Abfederungsmaßnahmen im zweiten Halbjahr mit steigenden Insolvenzzahlen. Allerdings glaube er nicht, dass eine Insolvenzwelle über Tirol hereinbrechen werde, so Schaller. Er gehe davon aus, dass das Insolvenzniveau in den nächsten Monaten kontinuierlich steige. „Wir werden zunehmend insolvente Betriebe erleben, deren Sanierung unmöglich ist, da diese Unternehmen über keine werthaltigen Aktiva mehr verfügen werden“, ergänzte der Regionalleiter des KSV1870.

Klaus Schaller vom KSV1870
ORF
Klaus Schaller

Privatpersonen warten vorerst ab

Auch die Zahl der eröffneten Privatinsolvenzen befand sich mit Ende des ersten Halbjahrs auf einem sehr niedrigen Niveau. 179 eröffnete Insolvenzverfahren von Privatpersonen an Tiroler Bezirksgerichten bedeuteten einen Rückgang um zwölf Verfahren oder 6,3 Prozent. Dass die Zahl der Schuldenregulierungsverfahren erneut sank, sei umso bemerkenswerter, da im Vorjahr das Gerichtsleben im zweiten Quartal nahezu stillstand, so Schaller.

Auch im Vergleich mit dem „normalen“ Jahr 2019 zeigte sich ein Rückgang der Privatinsolvenzen. Viele hochverschuldete Privatpersonen würden auf die Umsetzung der Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie (RIRL) warten, die eine erleichterte Entschuldung bringe, so der Regionalleiter des Kreditschutzverbandes. Diese RIRL bringe eine verkürzte Entschuldungsdauer von drei Jahren und trete voraussichtlich Mitte Juli in Kraft.

Schaller: Beratungsangebote unbedingt wahrnehmen

Daher rechnet der KSV im zweiten Halbjahr mit einem deutlich stärkeren Andrang bei den Tiroler Bezirksgerichten. Er rate zahlungsunfähigen Privatpersonen dazu unbedingt rasch entsprechend Beratungsangebote wahrzunehmen, so Schaller. Aufgrund der anstehenden Gesetzesänderung werde es für Schuldner in Zukunft immer wichtiger werden, bei Vorliegen der Insolvenzvoraussetzungen selbst aktiv zu werden.

Bleibe man jedoch untätig und stecke den Kopf in den Sand, werde ein Privatschuldner auch nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle nicht in den Genuss einer verkürzten Entschuldungsdauer kommen können.