Paula Schlier
Brenner Archiv
Brenner Archiv
Kultur

Online: Paula Schlier im Brenner Archiv

Das Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck präsentiert virtuelle Führungen zum Buch „Petras Aufzeichnungen“ von Paula Schlier aus dem Jahr 1926. Die deutsche Schriftstellerin warnte schon damals vor Hitler und schrieb über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Nach den virtuellen Führungen über den Dichter Georg Trakl präsentiert das Brenner-Archiv eine weitere Online-Reihe zum Buch „Petras Aufzeichnungen“ von Paula Schlier, das 2018 neu aufgelegt wurde.

Kriegskrankenschwester an der „Heimatfront“

Die dreiteilige Videoreihe schließt auch zeitlich an die im Frühjahr präsentierte Trakl-Reihe an: Georg Trakl hatte im November 1914 seinem Leben ein Ende gesetzt, nachdem er über dem Leid der Verwundeten in der Schlacht bei Grodek psychisch zusammengebrochen war. Paula Schlier (1899 – 1977) hat sich 1915 mit 16 Jahren als freiwillige Kriegskrankenschwester gemeldet und arbeitete als Kriegspflegerin im Lazarett – an der sogenannten „Heimatfront“.

Die erste Frau, die über sexuelle Übergriffe schreibt

Auch die junge Ich-Erzählerin von „Petras Aufzeichnungen oder Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit“ berichtet im ersten Kapitel über grauenhafteste Kriegsversehrungen. Im Krieg wird sie zur unbestechlichen Demokratin und Pazifistin. Paula Schlier will Journalistin werden, schafft es aber nur ins Vorzimmer der männlichen Redakteure als „Tippfräulein“. Sie wird, wie tausende andere Frauen damals auch, schlecht bezahlt und schlecht behandelt.

Paula Schlier
Brenner Archiv

Paula Schlier war die erste Schriftstellerin, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz explizit aufgriff, die „schallenden Schläge“ auf die „Rückseite“ der Sekretärinnen, die anzüglichen Reden, die sexuell herabwürdigenden Zeitungsartikel der sogenannten „Demokraten“ in den sich fortschrittlich gebenden Redaktionen. Schlier schreibt wie emotionslos – klar auf den schmerzlichen Punkt gebracht. „‘Petras Aufzeichnungen‘ ist eines der ersten Bücher der Neuen Sachlichkeit“, sagt Annette Steinsiek vom Forschungsinstitut Brenner-Archiv. Sie erklärt im zweiten Video der virtuellen Führung, was es damit auf sich hat.

Zeitungsartikel sind zugänglich

Schon Anfang 1923 hat Schlier auf die Gefahren durch die Nationalsozialisten hingewiesen. „Ihre diesbezüglichen Zeitungsartikel haben wir in einem Online-Portal zugänglich gemacht“, erzählt Ursula Schneider vom Brenner-Archiv. Im Herbst 1923 heuerte Schlier in der Nazi-Zeitung „Völkischer Beobachter“ an. Eine junge, blonde Sekretärin galt den dort tätigen Männern per se als politisch unterbemittelt, sie jedoch will deren hysterische Naivität und Gewaltbereitschaft an die Öffentlichkeit bringen. Im „Völkischen Beobachter“ erlebte sie den Hitler-Putsch – und zeichnete auf, was sie sieht und hört. Nachdem das Buch 1926 erschienen war, haben sich die Nazis mit einer Rezension gerächt. Und 1942 die Gestapo ausgeschickt.

Das Phänomen der „Neuen Frau“

„Petras Aufzeichnungen“ war 1926 eine literarische Sensation, die jedoch bald vergessen wurde. Was dazu beigetragen hat, erläutern die Innsbrucker Wissenschaftlerinnen im dritten Teil der Führungsreihe. Hier wird auch das Phänomen der „Neuen Frau“ in Literatur und Kultur erklärt – Schlier hat die junge, berufstätige, wirtschaftlich unabhängige Frau literarisch porträtiert. Die dargestellten Frauen und Mädchen versuchen ihren eigenen Weg zu finden, viele arbeiten sich letztlich ab an der Armut und an Rollenklischees, aber auch an der zynischen Dummheit, der Gier und der Gewalttätigkeit der Menschen, vor allem der Männer.

Zerschossene Körper von Soldaten, tägliche sexuelle Erniedrigung am Arbeitsplatz, Kindesmissbrauch, um ihr Eigentum gebrachte Bauern und die Sehnsucht nach einem besseren Leben für alle – die Herausgeberinnen bekennen: „Wir haben im Zuge der Neuausgabe sowie für den Dreh der Serie manche Passagen inzwischen wohl dutzende Male gelesen – aber noch immer bekommen wir Gänsehaut.“