Der zerstörte Reaktor des Kernkraftwerks Tschernobyl kurz nach dem Unglück
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Chronik

Tschernobyl: Folgen noch immer messbar

35 Jahre nach dem Atomreaktorunfall von Tschernobyl sind noch immer radioaktive Spuren in Form von Cäsium 137 in den Böden auch in Tirol zu finden. Hierzulande zeigt man sich für radioaktive Vorfälle aber gerüstet. Es gibt eigene Messstationen und Katastrophenschutzlager mit Schutzausrüstung für die Bevölkerung.

Zum 35. Mal jährt sich heuer das Katastrophenunglück von Tschernobyl. Im 4. Block des sowjetischen Atomkraftwerks kam es am 26. April 1986 wegen mangelnder Sicherheitsstandards und einer Fehlbedienung durch das Personal zur Kernschmelze und zur vollständigen Zerstörung des Reaktors. Große Mengen radioaktiver Stoffe wurden in die Umwelt freigesetzt. Österreich war wegen des Wetters eines der am stärksten betroffenen Länder Europas. Noch immer sind geringe radioaktive Spuren auch in Tirol zu finden.

Das Land ist gut gerüstet für etwaige radioaktive Unfälle. In Tirol sind 43 Strahlenfrühwarnmesstationen vorhanden. Und es gibt Lager mit Schutzausrüstungen für etwaige Großkontaminationen.

Das Katastrophenschutz-Lager des Landes Tirol
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Stefan Thaler von der Abteilung für Krisen- und Katastrophenmanagement in einem der Katastrophenschutzlager in Innsbruck

Bodenproben werden alle zwei Jahre durchgeführt

Nach dem Super GAU in Tschernobyl wurden in Tirol Lebensmittel- Boden- und Trinkwasserproben genommen. Untersucht wurden über einen längeren Zeitraum Gemüse, Obst, Beeren und Pilze. Sehr erhöhte Werte wurden damals in Salzburg, Oberösterreich und den Hohen Tauern festgestellt.

Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Mai 1986
BORIS Datenbank / Umweltbundesamt
Die Karte des Umweltbundesamtes zeigt die Bodenbelastung mit dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 wenige Tage nach der Atomkatastrophe

Waldböden strahlen mehr als Felder

„Ähnliche Probenziehungen im Rahmen von Übungen führen wir in Tirol aber auch jetzt noch alle zwei Jahre durch. Da kann man durchaus noch Cäsium-137 im Boden feststellen“, sagt Stefan Thaler von der Abteilung für Krisen- und Katastrophenmanagement. Der Grünbewuchs sei davon nicht betroffen, hier finde man keine Radionuklide mehr. Ein Grund dafür ist, dass die landwirtschaftlich betriebenen Flächen immer wieder umgepflügt werden, und dass es so zu einer Verdünnung kommt. Im Waldboden werden aber noch höhere Werte gemessen, so Thaler.

Verzehr von Wildtier und Pilzen

Hohe Mengen an Cäsium-137 findet man noch in bestimmten Pilzarten, hier wird vor allem vom Verzehr des Maronenröhrlings gewarnt. Allerdings kommt es auch hier wieder darauf an, wo er geerntet wird und auf die Menge des Verzehrs. Geringe Mengen würden nicht schaden, so Thaler. Auch bei den Wildtieren müsse beachtet werden, wo diese erlegt werden und woher sie kommen, so Thaler von der Abteilung für Katastrophenmanagement. So würden vor allem in Deutschland um die Gegend um Berlin Wildschweine teils noch hoch belastet sein.

Maronenröhrling
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Der Maronenröhrling gilt nach wie vor als besonders belastet

Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES isst man in Österreich durchschnittlich ein halbes Kilo Wildfleisch pro Kopf. Erlegte Tiere werden hierzulande nicht flächendeckend auf Radioaktivität gescreent – wie etwa in Deutschland. Genommene Stichproben während der Tierarztbeschau nach Schlachtungen hätten aber keine erhöhten Werte ergeben, heißt es.

Katastrophenschutzlager für den Fall der Fälle

In Tirol gibt es eigene Katastrophenschutzlager. „Da haben wir sogenannte Probennahmesets für Lebensmittel- und Umweltproben. Natürlich haben wir für die Probennehmerteams auch Schutzausrüstungen lagernd wie Gummistiefel, Schutzmasken- und Handschuhe und die Notfallreserve an Kaliumjodid-Tabletten für die Tiroler Bevölerung“, so Thaler vom Krisenmanagement des Landes gegenüber dem ORF Tirol. In Kindergärten werden Kaliumjodid-Tabletten bevorratet, teilweise auch in den Schulen.

Mit Jodtabletten im Katastrophenschutz-Lager des Landes Tirol rüstet man sich für potentielle, zukünftige radioaktive Unfälle
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Mit Kaliumjodid Tabletten kann die Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse verhindert werden und damit ein wesentlicher Beitrag zur Reduktion der Strahlenbelastung erfolgen, besonders bei Kindern unter 18 Jahren

Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz heißt es: „Kinder und Jugendliche sind besonders gefährdet, an strahlenbedingtem Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Das Gesundheitsministerium stellt daher für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren Kaliumiodid-Tabletten kostenlos zur Verfügung. Auch für Schwangere und Stillende sind die Tabletten gratis.“

Über 40-jährigen wird im Ernstfall von einer Verwendung abgeraten, da ein sehr geringes Schilddrüsenkrebsrisiko, jedoch ein erhöhtes Risiko von Nebenwirkungen der Kaliumjodid-Tabletten besteht. Kaliumjodid-Tabletten dürfen im Katastrophenfall nur auf ausdrückliche Anordnung der Gesundheitsbehörden eingenommen werden. Eine Einnahme ohne Gefahr einer Strahlenbelastung ist sinnlos und eventuell sogar schädlich, heißt es auf der Seite des Ministeriums.

Katastrophenpläne regeln genaue Zuständigkeiten

Es gibt umfangreiche Pläne für radioaktive Unfälle auf staatlicher ebene aber auch auf Landesebene. Darin geregelt sind die genauen Zuständigkeiten für großräumige Kontaminationen, wie es Tschernobyl war, aber auch beispielsweise für Satelliten-Abstürze oder auch für kleinräumige Kontaminationen, wie Verkehrsunfälle, sagt Stefan Thaler vom Krisenmanagement.

Es gebe auch genaue Vorgaben für Durchsagetexte für die Medien – und mittlerweile auch für die sozialen Medien, um die Bevölkerung in einem Katastrophenfall zu informieren, so der Experte des Landes.

Flächendeckendes Strahlenfrühwarnsystem

Österreich verfügt über ein flächendeckendes Strahlenfrühwarnsystem mit 336 Messstationen. Tirol verfügt über 43 derartiger Stationen.

Dekontaminierung in Österreich
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Das Bundesheer im April 1986 bei einem Dekontaminierungseinsatz

Zur raschen Erkennung und Beurteilung großräumiger radioaktiver Kontaminationen in Österreich begann das zuständige Ministerium für Gesundheit und Umweltschutz schon im Jahr 1975 mit der Errichtung des Strahlenfrühwarnsystems. Im Jahr 1986 war es das einzige vollautomatische Messnetz in Europa. Damals sei gleich gemessen worden wie heute, schildert Stefan Thaler dem ORF Tirol.

Bodenbelastung durch Cäsium-137 im Jahr 2021
BORIS Datenbank / Umweltbundesamt
Die Karte des Umweltbundesamtes zeigt die noch vorhandenen Bodenbelastungen 35 Jahre nach Tschernobyl

Strahlung kennt keine Grenzen

„Die Schadstoffwolke ist damals Richtung Norden gewandert. Die Schweden konnten dann die Radioaktivität messen, glaubten zuerst aber, das sei vom eigenen Atomkraftwerk. Dann um den 30. April kam die Wolke nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt hat es dann geregnet. Alles was in der Luft und in den höheren Luftschichten war, hat es ausgewaschen und das ist dann bei uns im Boden gelandet“, so Thaler.

Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 2011 konnte radioaktives Jod in Innsbruck gemessen werden. Es habe keinerlei Gefahr für die Tiroler Bevölkerung bestanden, aber man sehe damit, wie weit diese Partikel wandern können. Immerhin seien Wochen nach dem Atomunfall in Tschernobyl die Folgen sogar in Amerika messbar gewesen, sagt Stefan Thaler vom Katastrophenmanagement des Landes Tirol.