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Medizin

Medizin nach Maß: Frauen sind anders krank

In vielen Bereichen orientiert sich die Medizin an Männern. Die Gendermedizin kämpft seit Jahren dafür, die Besonderheiten von Frauen in der Behandlung sichtbarer zu machen. Ausnahmefälle wie die Pandemie zeigen aber, dass Frauen in der Medizin noch zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Hunderte Millionen Covid-Impfungen wurden in den letzten Monaten weltweit verabreicht. In sehr seltenen Fällen haben sie zu gefährlichen Thrombosen geführt. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer, für Gender-Medizinerinnen ist das keine Überraschungen.

Das treffe auch bei anderen Impfungen zu, Frauen haben von Natur aus ein deutlich höheres Risiko für Thrombosen, erläuterte Margarete Hochleitner, Expertin für Gender-Medizin. Das Gerinnungssystem von Männern und Frauen reagiere sehr anders, das liege vor allem auch am schwankenden Hormonhaushalt von Frauen. Wenn Thrombosen auftreten, müsse man also davon ausgehen, dass Frauen häufiger davon betroffen sind.

Margarethe Hochleitner im Interview
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Margarethe Hochleitner im Interview mit ORF Tirol

Keine Debatte über Unterschiede bei Geschlechtern

Überraschend war für die Professorin der Med-Uni Innsbruck aber, dass diese Unterschiede in den öffentlichen Diskussionen rund um die Covid-Impfungen in Österreich bisher kaum Thema waren. Lange wurde diskutiert, ob die verschiedenen Impfstoffe nur für bestimmte Altersgruppen zugelassen werden, etwa für Personen über 65 Jahre. Eine Diskussion über die unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männer habe es aber nie gegeben.

Auch als die ersten Thrombose-Fälle aufgetreten sind, habe es keine öffentliche Debatte gegeben, ob sicherheitshalber vorerst nur Männer geimpft werden sollen, so Hochleitner. Das sei keinesfalls eine Empfehlung von ihr, aber es sei eben nie auch nur ansatzweise thematisiert worden. Das zeige einmal mehr, dass Frauen in Krisenzeiten oft vergessen würden.

Nebenwirkungen deutlich öfter bei Frauen

Denn Frauen reagieren oft anders und stärker auf Medikamente als Männer. Jahrelang wurde deshalb dafür gekämpft, dass Medikamente auch an Frauen getestet werden. Lange Zeit hatten Wissenschafter das nämlich vermieden. Sogar bei Labortests an Mäusen wurden männliche Exemplare bevorzugt, damit versuchten die Forscher, die weiblichen Hormonschwankungen zu ignorieren.

Mittlerweile ist gesetzlich vorgeschrieben, dass unter den Probanden auch Frauen sein müssen. Immer noch sind Frauen aber vermehrt von Nebenwirkungen betroffen. Bei der Einnahme von Medikamenten sind Frauen oft auch von Nebenwirkungen betroffen, die gar nicht primär dem Medikament zugeordnet sind. Bei ACE-Hemmern trete bei Frauen etwa oft Reizhusten auf, das zähle häufig zu den Diagnosen im Frauengesundheitszentrum, so die Leiterin der Ambulanz, Angelika Bader.

Medikamente
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Bei Frauen treten andere Nebenwirkungen auf

Forderung nach geschlechtsspezifischen Nebenwirkungen

In Beipackzetteln werden die Nebenwirkungen weiterhin nicht nach Männern und Frauen getrennt aufgeschlüsselt. Die Expertinnen der Gender-Medizin würden sich wünschen, dass es gerade für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte Richtlinien formuliert werden, in denen genau aufgelistet wird, welche Nebenwirkungen bei den jeweiligen Medikamenten bei Frauen häufiger auftreten, so Margarethe Hochleitner.

Dann könnten die Ärzte ihren Patientinnen nämlich vor der Behandlung genau erklären, welche Nebenwirkungen möglich sind und im Falle alternative Behandlungen suchen. Derzeit komme es häufig vor, dass Patientinnen Nebenwirkungen erleiden, und dann von alleine die Medikation verringern oder ganz absetzen, das sei natürlich nicht ideal, so Hochleitner.

Langsame Änderungen in der Praxis

Gendermedizin ist mittlerweile seit einigen Jahren ein Pflichtfach im Medizinstudium. Das stärke das Bewusstsein der Medizin-Studentinnen und Studenten für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bis das in der Praxis angewandt werde und selbstverständlich sei, dauere es aber noch, so Gender-Medizinexpertin Margarethe Hochleitner.

Plakat MedUni
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Mit einem Plakat am Gebäude der MedUni wollen die Gender-Medizinerinnen auf das Problem aufmerksam machen

Bis Medizin nicht mehr großteils männlich gedacht wird, wird also noch ein wenig Zeit vergehen. Eine öffentliche Debatte könnte das beschleunigen. In anderen Personengruppen sei es bereits selbstverständlich, dass es unterschiedliche Behandlungsformen benötige – dass ein 18-Jähriger nicht die gleiche Behandlung oder Empfehlung erhält wie ein 98-Jähriger leuchte jedem ein, bei Männern und Frauen müsse das noch ein wenig deutlicher gemacht werden, schmunzelte Hochleitner.