Häftling in einer Gefängniszelle
APA/Hans Klaus Techt
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Wissenschaft

Gewalt in Gefängnissen weit verbreitet

72 Prozent aller Inhaftierten erleben in den heimischen Gefängnissen Gewalt. Eine wesentliche Ursache ist die Überbelegung der Gefängnisse. Das zeigte eine Studie des Instituts für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck.

Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom IRKS erforschten umfassend die Haftbedingungen und Gewalterfahrungen in den Justizanstalten und befragten dafür 386 Häftlinge. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchungen ist das Alter der Gefangenen: Je jünger die Häftlinge sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie Opfer psychischer oder körperlicher Gewalt werden.

Die Bandbreite der Erfahrungen, von denen Befragte berichteten, reichten von leichteren Formen psychischer Gewalt, wie aggressivem Anschreien, über Tritte und Schläge bis hin zu Vergewaltigung, erläuterte Veronika Hofinger. „Erwartungsgemäß gibt es am meisten Berichte über psychische Gewalt – 70 Prozent wurden mindestens einmal in Haft aggressiv angeschrien, beleidigt, bedroht, erpresst oder in ähnlicher Weise behandelt. Vier von zehn Befragten geben einen Vorfall körperlicher Gewalt an, sie wurden getreten, geschlagen, unnötig hart angefasst, gewürgt oder in ähnlicher Weise viktimisiert.“

Zu viele Häftlinge in Gefängnissen

Eine wesentliche Ursache dafür ist der Überbelag in den heimischen Gefängnissen, die 2019 – also vor Ausbruch der Corona-Pandemie – eine Auslastung von rund 106 Inhaftierten pro 100 Haftplätze aufwiesen. Jede sechste befragte Person war in einem überbelegten Haftraum untergebracht. In der Justizanstalt Josefstadt gibt es nach wie vor zahlreiche Hafträume, in denen zehn Personen untergebracht werden können.

Justizwachebeamte in einem Gefängnisgang
APA/Hans Klaus Techt
Die Studienautoren zeigen die angespannte Personalsituation auf

Anspannung und Stress durch Haft

„Der Überbelag verschlechtert das Anstaltsklima“, erläutert die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger im Gespräch mit der APA. Aus Platzgründen ist die an sich rechtlich verankerte Trennung der Ersthäftlinge von Insassen mit Hafterfahrung oft ebenso wenig durchführbar wie die Trennung von Insassen, die miteinander Konflikte haben. In gerichtlichen Gefangenenhäusern gibt es insgesamt weniger Arbeitsmöglichkeiten und längere Einschlusszeiten als in Strafvollzugsanstalten.

Veronika Hofinger
Universität Innsbruck
Studienleiterin Veronika Hofinger

„Aber es gibt auch sehr große Unterschiede zwischen den Gefangenenhäusern: Während die Haftbedingungen und das Anstaltsklima in Korneuburg beispielsweise sehr positiv eingeschätzt wurden, gab es in überfüllten Anstalten wie in Innsbruck viel Kritik.“ Im Westen geben alle Befragten an, Anspannung und Stress durch die Haft zu erleben, in Korneuburg sagen 95 Prozent, dass sie sich sehr sicher fühlen.

Justizwachebeamte sollen Bodycams tragen

Um die Gewaltspirale zurückzudrehen, sind ausreichende Haftplätze sowie entsprechend geschultes und professionell agierendes Personal erforderlich. Die Personal-Insassen-Quote ist in Österreich deutlich niedriger als in unseren Nachbarländern. Wenn es zu Übergriffen durch das Personal kommt, brauche es ganz klare rote Linien und einen konsequenten Umgang damit, so Hofinger.

Sie und Co-Autorin Fritsche sprachen sich in diesem Zusammenhang dafür aus, dass Justizwachebeamte in konfliktträchtigen Situationen Bodycams tragen, damit gegen sie gerichtete Vorwürfe von unangemessener körperlicher Gewalt aufgeklärt werden können.

„Anstaltskultur darf keine Gewalt dulden“

Essentiell ist für die Wissenschafterinnen eine „Anstaltskultur“, die keine Form von Gewalt duldet. „Zu einer zeitgemäßen Justizanstalt gehört eine Sensibilisierung, in der auch ‚kleine Fälle‘ von Gewalt nicht abgetan werden“, sagt Fritsche. In modernen, am aktuellen Stand der Strafvollzugsarchitektur ausgerichteten Anstalten herrscht tendenziell eher ein besseres Klima als in überfüllten, älteren Gebäuden mit baulichen Mängeln.

Haftraum
Picasa

Hofinger und Fritsche warnen jedoch davor, Personal durch Technik zu ersetzen. „Nur eine schicke Architektur bringt nichts“, meint Hofinger. Ausreichend vorhandenes und präsentes Personal sei unabdingbar, wobei sich die Autorinnen dafür aussprechen, sich bei den Aufnahmekriterien und der Ausbildung an skandinavischen Ländern zu orientieren.