Marie-Luisa Frick
Andreas Friedle
Andreas Friedle
Coronavirus

Mögliche falsche Signale durch Grünen Pass

In der Diskussion um den „Grünen Pass“ warnt die Innsbrucker Philosophin Marie-Luisa Frick vor Schnellschüssen bei Privilegien für Geimpfte, Genesene und Getestete. Über Impfprivilegien müsse nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus ethischer Perspektive diskutiert werden.

Bevor nicht wissenschaftlich bewiesen sei, dass die verwendeten Impfstoffe vor der Ansteckung anderer schützen, würde man mit Impfprivilegien riskieren, falsche Signale zu senden, meinte Frick, Professorin am Institut für Philosophie an der Universität Innsbruck. Es gäbe noch viel Klärungsbedarf, so die auf Rechtsphilosophie und Ethik spezialisierte Professorin.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte Ende Februar angekündigt, dass eine Entscheidung über Impfprivilegien nicht vor April fallen würde – mehr dazu in Entscheidung über Impfprivilegien nicht vor April (news.ORF.at)

Frick verweist auf noch laufende Studien

Die Sache sei nicht so einfach, stellte Frick klar. Auch wie lange der Schutz durch Impfungen anhält, sei noch nicht geklärt. Studien der zugelassenen Impfstoffe würden schließlich noch laufen, meinte die Philosophin.

Damit teile sie die Bedenken des Deutschen Ethikrats, der im Jänner 2021 in einer Pressemitteilung betonte, dass sich „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ die „individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen“ schon allein deshalb verbiete, „weil die Möglichkeit einer Weiterverbreitung des Virus durch Geimpfte nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann“.

Nachteile für Getestete

Im geplanten EU-Entwurf seien Privilegien nicht nur für Geimpfte, sondern auch für Genesene und Getestete vorgesehen, bezog sich Frick auf die aktuellen Debatten. Letztere sah sie als eine „benachteiligte Gruppe“, da der „Grüne Pass“ für getestete Personen nur für Tage gültig sein dürfte.

Zusätzlich ortete die Philosophin eine Ungleichbehandlung, die begründungsbedürftig ist. Besonders heikel sei, dass aufgrund des „schleppenden Impftempos" viele Menschen nicht geimpft werden, die sich aber gerne impfen lassen würden. Solange es zu wenig Impfstoff gibt, werde die Ungleichheit zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften „durch die politischen Entscheidungsträger erzeugt“, erklärte Frick.

Marie-Luisa Frick
Uni Innsbruck
Frick ist seit 2016 Professorin am Institut für Philosophie

„Der Staat entscheidet letztlich, wer wann in die Elite aufgenommen wird und als Geimpfter mehr Freiheit genießt“, verwies Frick auf den nationalen Impfplan. Zudem müsse man auch bedenken, dass einige Bevölkerungsgruppen gar nicht geimpft werden können: „Schwangere, Jugendliche unter 16 Jahren oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten“.

Israel als Vorbild für Frick

Was Israel angeht, so glaubte Frick nicht, dass das Land überstürzt gehandelt habe, im Gegenteil – „Israel ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild, die Staatsbürger werden mit hochwirksamem Impfstoff in Rekordzeit durchgeimpft“. Eine Woche nach der zweiten Impfung können sich Israelis eine Bescheinigung auf ihr Handy laden, die ihnen wieder ein Leben ohne Restriktionen ermöglicht.

Masken und Abstandsregeln werden nach wie vor gefordert, aber der „Grüne Pass“ öffnet den Geimpften und denen, die nach einer Infektion immun sind, das Tor zu Konzerthallen, Theateraufführungen, Fitnesszentren und Schwimmbädern. Israelische Bürger, die nach einem Auslandsaufenthalt nach Hause fliegen, dürfen zudem einreisen, ohne sich in Quarantäne zu begeben.

Breite Debatte zu Impfprivilegien gefordert

Was die Debatte um Impfprivilegien betrifft, so sei man hierzulande etwas zu hektisch, meinte Frick. Es brauche breite öffentliche Debatten, um das gründlich durchzudenken und Folgen abzuwägen. In solchen Debatten müssten möglichst viele Perspektiven eingebracht werden: „Verfassungsrechtler, Ethiker, Immunologen, Patientenanwälte und andere Fachleute“. Auch datenschutztechnisch gebe es noch „viel Klärungsbedarf“.

Frick plädierte für einheitliche Regelungen – europa-, bestenfalls sogar weltweit – und dafür, sich in der Debatte um Impfprivilegien „Zeit zu nehmen“. Man dürfe den Menschen keinen Sand in die Augen streuen oder falsche Hoffnungen wecken. An die Verantwortlichen appellierte sie in dem Zusammenhang, möglichst vorausschauend und behutsam zu agieren. „Mit dem Vorsichtsprinzip hätte in dieser Pandemie schon viel verhindert werden können“, war Frick überzeugt.