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Die Zukunft nach Corona

Werden wir uns einmal wieder so wie früher um den Hals fallen können? Der Wiener Trendforscher Tristan Horx blickt optimistisch in die Zukunft. Auch sein Job hat sich durch die Pandemie verändert, auch er musste umdenken. Horx sieht in der Krise eine Chance für Veränderungen in vielen Bereichen von der Arbeit bis zum Reisen.

Durch die Pandemie hat sich das Jobprofil von Tristan Horx als Keynote Speaker in voll besetzten Tagungsräumen in Luft aufgelöst. Der Zukunftsforscher hat reagiert und bietet seine Prognosen nun vielfach online an. Sein Beruf ist für diesen digitalen Wandel prädestiniert, doch die Arbeitswelt würde derzeit generell umgekrempelt, analysiert der Trendforscher. Längst fällige Veränderungen würden durch die Pandemie beschleunigt.

Sendungshinweis:
„Ein Virus verändert Tirol,
die Zeit nach Corona“
Österreich-Bild am Sonntag,
28.3. um 18.25 in ORF 2

ORF Tirol: Viele Menschen können die These, die Krise sei eine Chance für Veränderung, schon nicht mehr hören. Warum sind Sie so überzeugt davon?

Horx: Wenn die Region Tirol oder die gesamte Gesellschaft nichts aus dieser Krise lernt, dann war das ganze Leid und die ganze Depression einfach umsonst. Positiv formuliert könnte man auch sagen, in einer Krise mobilisieren wir unsere Kräfte.

Tristan Horx
Julian Horx
Der Zukunftsforscher Tristan Horx schlägt vor, das Ischgler Lokal „Kitzloch“ umzubranden

Dankbar für die Krise?

ORF Tirol: Wird sich in Tirol durch das Virus nachhaltig etwas ändern, zum Beispiel im Tourismus, Stichwort Après Ski?

Horx: Der Hypertourismus hat ausgedient. Der sogenannte Sauftourismus ist seit jeher ein Thema in Tirol, den wollte man immer schon loswerden, aber man hat es nicht geschafft, weil er eben sehr profitabel ist. Vielleicht war die Pandemie notwendig, so tragisch das auch klingen mag, um Tirol, um Ischgl und noch ein paar andere Täler auch außerhalb Österreichs, das darf man ja nicht vergessen, zum Wandel zu zwingen. Nur so wächst man in einer Gesellschaft. Man kann jetzt ewig jammern, dass man sich anders verhalten hätte sollen, oder man richtet den Blick nach vorne und sagt ok, das gehen wir jetzt an. Corona hat den Wandel erzwungen. Ich sage es sehr vorsichtig, aber wir können dankbar dafür sein.

ORF Tirol: Wie könnte es in Ischgl im Jahr 2030 aussehen, haben Sie als Zukunftsforscher eine konkrete Vorstellung?

Horx: Das Lokal „Kitzloch“ wird man umbranden müssen. Es wird immer noch Après Ski geben, aber man wird einen anderen, netteren Begriff dafür finden müssen, einen sanfteren, entschleunigten Begriff. Es spricht nichts dagegen, sich nach dem Skifahren zum Essen und Trinken zu treffen. Das Problem ist die Taktung und die Dichte. Man muss sich das „Kitzloch“ in seiner Theatralik noch einmal vor Augen führen, dort konnte sich das Virus perfekt ausbreiten. Mit mehr Distanz und weniger Menschen kann man immer noch Spaß haben. Ischgl wird derzeit als Sündenbock geprügelt. Andere Orte werden diesen Sauf-Après-Ski-Tourismus aufnehmen, denn es wird wohl weiterhin Menschen geben, die dieses Bedürfnis haben.

Ischgl leere Pisten Liftanlagen
ORF
Die Seilbahnen in Ischgl haben in dieser Saison nicht aufgesperrt, ein Totalausfall. Kann sich Tirol von dem Imageschaden erholen?

ORF Tirol: Werden wir wieder reisen können und wenn ja, wie wird sich das Reiseverhalten verändern?

Horx: Die Menschen wollen reisen. Eine Zukunft, in der es nur um Askese und Entzug geht, auf die hat niemand Lust und die ist auch nicht mehrheitsfähig. Wir wollen nicht nur die Mobilität, wir brauchen sie auch. Wir werden wieder in den Alpen unterwegs sein aber mit einer anderen Taktung. Der reine Tagestourismus ist schlecht für eine Region – für Ischgl genauso wie für Salzburg. Es braucht einen Austausch, der Gast sollte auch etwas in die Region hineinbringen und den Ort nicht nur konsumieren. Das Reiseverhalten wird sich entschleunigen. Das bedeutet nicht, dass wir weniger reisen werden, aber wir werden nicht jedes Wochenende woanders hin jetten. Es geht darum, sich zwei Wochen Zeit zu nehmen. Das ist eine optimistische Zukunftsvision, aber die braucht es auch, um etwas zu verändern.

Arbeit + Urlaub = „Workation“

ORF Tirol: Welche neuen Chancen könnten sich für den Tiroler Tourismus ergeben?

Horx: Eine neue Mischform, die man sich mit unserem jetzigen Denken überhaupt nicht vorstellen kann, ist die Verbindung von Arbeit und Urlaub, das wird als „Workation“ bezeichnet. Ich quartiere mich zum Beispiel in einer Hütte irgendwo in den Tiroler Bergen ein. Die braucht natürlich eine gute Internetverbindung. Am Vormittag mache ich meine digitalen Meetings, fülle meine Excel-Tabellen aus und recherchiere. Am Nachmittag gehe ich dann eine Skitour. Somit arbeite ich vier bis fünf Stunden am Tag in einem ganz anderen Setting, ich bin aber nach wie vor mit der Firmenwelt verbunden. Das können wir uns in unserer industriell geprägten Welt derzeit nicht vorstellen. Wir denken immer noch, der Mensch gehört in eine Fabrik.

Die Zukunft der Arbeit

ORF Tirol: Das klingt nach einem elitärer Zugang, nicht alle Jobs lassen sich in einer idyllischen Berghütte ausführen.

Horx: Ja klar, ich kann auch nicht nur auf der Alm sitzen. Die Formel für die Zukunft der Arbeit lautet auch nicht, dass alles im Homeoffice erledigt wird. Die richtige Tätigkeit sollte zur richtigen Zeit am richtigen Ort vollbracht werden. Corona hat auch hier einen längst notwendigen Wandel erzwungen. Die Trennung in 8 Stunden Arbeiten, 8 Stunden Schlafen und 8 Stunden Leben ist eine Vorstellung aus dem vergangenen Jahrhundert.

Tristan Horx
Julian Horx
Die Arbeit sollte flexibel zur richtigen Zeit am richtigen Ort ausgeführt werden, sagt der Zukunftsforscher Tristan Horx

ORF Tirol: Im Lockdown haben regionale Initiativen wie bäuerliche Zustelldienste in Tirol profitiert. Wird sich im Konsumverhalten der Menschen langfristig etwas ändern?

Horx: Die Ernährung ist etwas sehr Intimes und immer mehr Menschen legen Wert auf gesunde, regionale Produkte. Diese Tendenz hat sich schon vor Corona gezeigt. Ich glaube, dass auch das lokale Handwerk einen Aufschwung erleben wird. Durch die Pandemie haben viele Menschen erkannt, was sie wirklich brauchen und was ihnen nur die Werbung einredet. Das kann man in einer abstrakten Situation nicht so leicht verstehen. Wenn einem permanent nur gesagt wird, du bist böse, weil du kaufst bei Billiganbietern, dann funktioniert das nicht. Man muss den Vorteil von einem veränderten Konsumverhalten an der eigenen Haut erfahren, nur das führt zur Läuterung. Das haben im Lockdown viele Menschen erfahren. Ich bin überzeugt, dass sich das Konsumverhalten entschleunigen wird. Das heißt nicht unbedingt weniger zu konsumieren, sondern mehr auf Qualität statt auf Quantität zu setzen.

ORF Tirol: Glauben Sie das wirklich? Könnte es nicht sein, dass viele Menschen nach dem Lockdown „Entzugserscheingungen“ haben und umso mehr shoppen werden?

Horx: Ja, einige Menschen werden sicher das Gefühl haben, das Einkaufen nachholen zu müssen. Aber seien wir mal ehrlich, die Winter-Lockdown-Depression kommt doch nicht allein vom verhinderten Shoppen. Da gibt es andere schwerwiegendere Ursachen. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen erkennen werden, dass das Einkaufen nicht unbedingt notwendig ist, um glücklich zu sein.

Beschleunigung der Entschleunigung

ORF Tirol: Im letzten Jahr haben sich neue Formate entwickelt, nicht nur ältere Menschen gehen nun spazieren. Plötzlich sind Menschen auch wieder zu Hause am Festnetz erreichbar und lange Telefongespräche unter Freunden sind möglich. Wie verändert das Virus unser privates Verhalten?

Horx: Ich sehe eine Beschleunigung der Entschleunigung. Viele Trends waren auch hier schon vor Corona spürbar. Doch wenn man selbst versucht hat, zu entschleunigen und alle anderen haben immer noch Vollgas gegeben, dann hatte man das Gefühl, überholt zu werden. Dann musste man schnell wieder zurück in den Zirkus. Nun haben wir alle gemeinsam auf den Pausenknopf gedrückt. Jugendliche erkennen plötzlich den Wert von alten Kulturtechniken wie dem Spazierengehen. Sie opfern sich nicht auf, sie machen das freiwillig.

ORF Tirol: Die Begrüßungsrituale haben sich verändert, das bekommen wir alle täglich zu spüren. Werden wir uns wieder so um den Hals fallen und vielleicht sogar küssen, wie vor dem Ausbruch der Pandemie?

Horx: Aus anthropologischen Studien weiß man, dass wir unseren Nächsten wieder näher kommen. Die werden wir aufgrund der virologischen Vertrauensbasis umso inniger umarmen. Auf den laschen, manchmal unangenehm schwitzigen Händedruck, den ich von den früheren Kongressen kenne, verzichte ich gerne. Die asiatischen Kulturen haben mehr Erfahrung mit Epidemien als wir Europäer. Die haben wunderbare Rituale entwickelt, sich ohne Körperkontakt zu begrüßen ohne dabei unhöflich zu sein. Ich glaube, dass wir das auch schaffen werden.