Von „Åckerschuicha“ für Vogelscheuche bis „zwoozlen“ für zappeln reichen die in dem neuen Ötztaler Dialektwörterbuch online gestellten Begriffe, die wohl nicht jeder auf Anhieb versteht. Auch innerhalb des langgestreckten und verzweigten Tiroler Gebirgstales gibt es unterschiedliche Ausdrücke für dieselben Dinge. Vor allem die Aussprache divergiert von Ort zu Ort.
Nicht geschimpft ist genug gelobt
Anna Praxmarer, Studentin der Vergleichenden Literaturwissenschaft, betreut das aufwendige Projekt, das Edith Hessenberger, die Leiterin der Ötztaler Museen initiiert hat. Praxmarer stammt aus der ungefähr in der Mitte des Ötztales liegenden Gemeinde Längenfeld. Daher würde sie sowohl die Außer- als auch die Inner-Ötztaler ganz gut verstehen, meint sie, doch auch für die Einheimische waren einige Begriffe neu.
Eine überraschende Erkenntnis sei zum Beispiel, dass es im Ötztaler Dialekt nur wenige Begriffe für positive Eigenschaften gebe. „Zahlreiche Worte beschreiben faule und tollpatschige Menschen oder Menschen, die besonders unordentlich sind“, wundert sich Praxmarer, „dagegen fehlen Ausdrücke für schöne, fleißige oder geschickte Talbewohnerinnen. Offensichtlich wird das Positive bei uns im Tal als ganz normal angesehen und wird nicht extra hervor gehoben.“

Lokale Besonderheiten
In der Gemeinde Umhausen hat sich das eigenartige Vertauschen des dritten und des vierten Falls erhalten. Dort sagt man zum Beispiel, „setzt dir nieder“, oder „ich habe dir gesehen.“ Diese Formulierungen würde man in keinem anderen Ort des Ötztales hören, bestätigt Praxmarer.
Dialekt im Wandel
Vor allem ältere Bewohnerinnen haben sich ein analoges Wörterbuch auf Papier gewünscht, doch Praxmarer ist überzeugt, dass die digitale Form perfekt für die lebendige, sich permanent verändernde Sprache geeignet sei. Forscher wie Dr. Hans Haid oder der Publizist Markus Wilhelm haben in den letzten Jahrzehnten bereits umfangreiche handschriftliche Sammlungen und Listen mit Dialektausdrücken angelegt. Im Jahr 2010 wurde die Ötztaler Mundart von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt.
Beim Durchforsten des gesamten vorhandenen Materials sind von ursprünglich 6.000 Begriffen nur 4.500 Dialektwörter übrig geblieben. „Einige Worte wurden unterschiedlich aufgeschrieben, aber sie werden gleich ausgesprochen. Im neuen Online-Wörterbuch konnten wir Dubletten reduzieren und die Qualität der Datenbank verbessern“, freut sich Praxmarer.

Von „Åacharle“ bis „muizelig“
Es geht keineswegs darum, den Dialekt zu konservieren, sondern das Weiterleben zu fördern. Viele würden weniger den wissenschaftlichen als den humoristischen Aspekt der ungewöhnlichen Ausdrücke schätzen, erzählt Praxmarer.
Bei „Miadsåck“ kommen wohl nur Eingeweihte auf die Übersetzung als „lästiges Kind“, und wer erkennt einen „Mammelar“ als Muttersöhnchen? „Luurlen“ ist ein wunderbarer, lautmalerischer Begriff, der in Sölden für das Heulen des Windes verwendet wird. „Es gibt viele Beschreibungen für meteorologische Phänomene“, erklärt Praxmarer, „die unterschiedlichen Formen von Schnee, die Stärke des Schneefalls oder die Windstärke, ob es ein warmer Wind ist, der Tauwetter bringt, oder ein Sturm, dieses Wissen war früher überlebensnotwendig.“
Jung und Alt sprechen Dialekt
Bewohnerinnen und Bewohner aus den Gemeinden von Sautens bis Sölden wurden für die Tonaufnahme vor das Mikrofon gebeten. Aber nicht nur ältere Bauern aus dem hintersten Tal, sondern auch Jugendliche haben die Worte für die Datenbank eingelesen. Einige bäuerliche Begriffe sind längst aus dem täglichen Gebrauch verschwunden. Wer weiß heute noch, dass mit „Ånewånter“ der Ackerrand gemeint ist? Auch zeitgemäße Begriffe wie das in Längenfeld als „Möped“ bezeichnete Fahrzeug wurde aufgenommen.
Work in Progress
Einen Begriff für „Chillen“ gibt es im Ötztal nicht, denn man ruht sich höchstens von der getanen Arbeit aus, in Sölden macht man ein „Raschtle“. Auch das „Genießen“ kommt nicht wirklich vor, man könnte höchstens „an Åmår håbn“, also Lust haben. Eine Liebeserklärung wird im Dialekt auf „i mog di“ reduziert, den Traummann bezeichnet man lapidar als „Löötr“. Dafür gibt es eine Vielzahl von Bezeichnungen für den Teufel und auch das Fluchen funktioniert wunderbar.

Regionale Identität stärken
Das in enger Zusammenarbeit mit dem Tiroler Dialektarchiv der Universität Innsbruck durchgeführte Projekt ist langfristig angelegt. Die Ötztalerinnen und Ötztaler sind eingeladen, ihre liebsten Dialektwörter über eine Eingabemaske online einzureichen. Ein Ziel sei die Sensibilisierung für die Sprache, sagt Edith Hessenberger, die Leiterin der Ötztaler Museen, und die Stärkung der regionalen Identität.
Die Rückmeldungen seien überwiegend positiv, erzählt Praxmarer, auch wenn bereits der Wunsch geäußert wurde, nicht nur nüchtern einzelne Worte, sondern ganze Texte oder Mundart-Gedichte zu speichern. Das wäre dann ein nächster Schritt.