Silo als Statussymbol
Der 45 Meter hohe Betonsilo ist ein markanter Hochpunkt auf dem Weg von Innsbruck nach Hall in Tirol. Viele Vorbeifahrende kennen auch das monumentale rotbraune Mosaikbild eines kraftstrotzenden Stiers auf dem benachbarten Gebäude. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in ganz Österreich zahlreiche Speichertürme errichtet. Sie galten damals als ein Symbol für ausreichende Nahrungsvorräte und Wohlstand. Weil einzelne dieser Industriebauten sogar die Kirchtürme überragen, werden sie auch als „Agrarkirchen“ bezeichnet.
Verlassene Industrieanlage
Mit dem Beitritt zur EU im Jahr 1995 verlor der Haller Getreidespeicher seine Bedeutung, erzählt Andreas Rauch, Geschäftsführer der Rauchmühle. Die Fördergelder fielen weg, das Getreide wurde nicht mehr nahe der Mühle in Tirol, sondern bei den Produzenten in Niederösterreich gelagert. Vorrübergehend diente der Haller Silo der Firma Fröschl als Kiesspeicher. Doch in den letzten Jahren blieb er großteils ungenutzt.
Nun adaptierte das Energieunternehmen Gutmann den verkehrstechnisch mit Bahnanschluss gut gelegenen Turm als Pelletsspeicher. Mit einem Fassungsvermögen von 10.000 Tonnen wirbt man mit dem größten Pelletslager Österreichs. Die technische Umrüstung mit Explosionsschutz und Absauganlagen war aufwendig. Den Bauherren ging es aber auch um eine ansprechende architektonische Lösung inklusive einem Neubau auf dem Silo-Dach.
Die Architekten Obermoser + Partner sowie der erst vor kurzem verstorbene Innsbrucker Architekt Hanno Schlögl stellten sich der ungewöhnlichen Bauaufgabe gemeinsam. Die Abwicklung in 45 Meter Höhe war eine bautechnische Herausforderung.
Keine pompöse Krone
Als Fassade entschied man sich aus mehreren Varianten für eine filigrane Raster-Struktur aus Betonfertigteilen. Der Neubau sei keineswegs eine protzige Bekrönung, sondern er würde harmonisch mit dem alten Betonsilo verschmelzen, meint Architekt Johann Obermoser. Einige Vorbeifahrende finden: „Es hat sich zwar nichts verändert, aber der Silo sieht jetzt besser aus.“ Diese Bemerkungen betrachtet Obermoser als Kompliment. Den langen Weg der Transformation würde man nicht mehr erkennen.
Zimmer mit Aussicht
Der auf dem Silo entstandene großzügige, lichtdurchflutete Raum bietet einen abwechslungsreichen Rundumblick, etwa auf die barocken Haller Kirchtürme, die urbane Industriezone oder die malerischen Thaurer Felder.
Zwischen der Rasterfassade und dem Glaskörper wurde Abstand gewahrt, wodurch räumliche Tiefe entsteht. Die Blicke durch den Raster wirken wie einzelne gerahmte Bilder. Das fände er interessanter als eine Vollverglasung, betont der Bauherr Albert Gutmann: „Als Unternehmer sollte man den Durchblick nicht verlieren und immer wieder daran erinnert werden, zu fokussieren.“
Steinway auf dem Silo
Der Tiroler Künstler Herbert Hinteregger hat einige Arbeiten als permanente Installation extra für diesen Raum geschaffen. Im letzten Moment wurde auch noch ein Konzertflügel von Steinway hier herauf gehievt. Guido Zimmermann, der Geschäftsführer von Steinway in Hamburg, sei über die originelle Location erfreut gewesen und hätte das Projekt unterstützt, erzählt der Tiroler Unternehmer. Die Idee, einen Flügel hier aufzustellen, sei bei der Entwicklung eines neuen Begegungsformats entstandern. Der Raum sei nicht öffentlich zugänglich, sondern für Treffen mit Kunden und Lieferanten gedacht.
„Fliegender“ Flügel
Der von Spezialisten begleitete Transport des Flügels sei sehr aufregend gewesen, erzählt der Juniorchef Alexander Gutmann. Das Instrument sei äußerst empfindlich gegen Erschütterungen. „Es war eine Zitterpartie, ob der Flügel auch heil in der Höhe ankommt.“
Architekt und Pianist
Dass alles gut gegangen ist, beweist die Einweihung des Konzertflügels durch Thomas Gasser. Der klavierspielende Architekt hat das Projekt mitgeplant und den komplizierten Bau in schwindelnder Höhe abgewickelt. In einem selbst gestalteten Raum zu spielen, das sei schon ein besonders bewegender Moment, erzählt Gasser: „Seit der Musikschule war ich nicht mehr so aufgeregt, wie bei dieser Premiere. Doch dieser Raum hat einfach nach Klang gerufen“, so Gasser.
Vorbild für andere Nachnutzungen
Abgehoben wäre man keineswegs, beeilt sich der Unternehmer Albert Gutmann zu versichern: „Abgehoben ist höchstens die Höhe. Wir genießen hier nicht nur die Aussicht, sondern wir arbeiten hier. Der Raum ist etwas Besonderes, aber die wirtschaftliche Realität hat uns fest im Griff. Unser Geschäft ist hart, doch wir wollten uns die Gelegentheit nicht entgehen lassen, diesen Raum auszuführen.“
Auf jeden Fall ist mit diesem Projekt die sinnvolle Nachnutzung einer langezeit brachliegenden Industrieanlage gelungen. Es ist nur ein Beispiel für mögliche Adaptionen. Architekt Johann Obermoser hat auch schon einmal einen Entwurf für Wohnungen in dem Silo der Tiroler Gemeinde Pill vorgeschlagen. Wesentlich wäre, dass die die Landschaft prägenden Türme nicht als Ruinen herumstehen.