Im ersten Lockdown wandte sich eine Kundin mit einem ungewöhnlichen Wunsch an die Innsbrucker Glasbläserin Susi Hager. Die Medizinerin bestellte für ihren Sohn einen Anhänger in der Form des Covid-19-Virus zum Geburtstag. Von dieser skurrilen Idee war die Kunsthandwerkerin anfangs wenig begeistert. Sei es nicht zynisch gegenüber den Kranken und den Angehörigen von Verstorbenen, gegenüber den Menschen, die ihre Jobs verloren haben, stellte Hager in Frage. Die Kundin argumentierte dagegen, das Jahr 2020 würde ja ohnehin für alle, ob derart betroffen oder anders, als „das“ Corona-Jahr in Erinnerung bleiben. Es sei besser, sich einen „Container der Erinnerung“ zu schaffen und sich so der Wirklichkeit zu stellen.
„Antikörper“ aus Glas
Susi Hager setzte sich vor ihre Glasbläserlampe und begann zu experimentieren. Bevor der vollendete Prototyp von der Initiatorin abgeholt werden konnte, sahen andere Kunden die bunten, stacheligen Kreationen und bestellten Nachschub. Das ambivalente Motiv hat sich inzwischen zum Bestseller entwickelt. Die ersten Käufer stammen aus dem Medizin- und Pflegebereich. Die hätten einen anderen Zugang zu diesem Thema als wir Laien, meint Hager. Dann ging das Motiv sozusagen „viral“. Inzwischen gibt es schmückende Viren in jeder Form, als Ohrringe, Anhänger, Ringe oder Broschen.
Ein Virus „kaufen“
Eine Bekannte ließ sich von Hager ein persönliches Weinglas gestalten, das mit verschiedenfarbigen virenartigen Gebilden verziert ist. Ursula Engele erzählt augenzwinkernd, sie würde dann beim Trinken an ihre Gesundheit denken. Humor sei für sie manchmal auch eine Hilfe, schwierige Situationen zu meistern, findet Hager, denn das Lachen würde sie befreien. Witze mache man ja manchmal über genau das, wovor man Angst habe. Ein Kunde erwarb zum Beispiel einen Anhänger für seinen Bruder mit dem Kommentar: „Dann hat er Corona schon, dann kann er es nicht mehr kriegen.“ Andere stellen sich das gläserne Virus ins Regal als Erinnerung an dieses eigenartige Jahr, erzählt Hager. Auch anlässlich der Olympischen Spiele 1976 in Innsbruck wurden geschliffene Glaskugeln als Souvenir verteilt.
Sehnsucht nach Bildern
Nicht alle Betrachter reagieren auf die Bildfindung der Innsbruckerin positiv. Kritiker bezeichnen die gläserne Objekte unter anderem als „geschmacklose Verniedlichung“. Martina Baleva, Professorin am Institut für Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck ortet eine Sehnsucht nach Bildern während der Pandemie. "Seit den ersten Infektionen in Europa ist das bonbonfarbene Bild von der makellosen Sphäre mit ihrer flauschigen Oberfläche und den charakteristischen „Dornen“ allgegenwärtig. Unsere Gesellschaft ist so sehr auf hochglanzpolierte Bilder getrimmt, dass wir auch von einem uns bedrohenden Virus solche Bilder brauchen“, erklärt Baleva.