Menschen in der Innsbrucker Rathauspassage
Hermann Hammer
Hermann Hammer
Wissenschaft

Österreicher mit hoher psychischer Flexibilität

Die Österreicher haben eine höhere psychische Flexibilität als der weltweite Durchschnitt. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie unter Mitarbeit der Medizinischen Universität Innsbruck zum Thema Covid-19 und psychische Gesundheit mit weltweit 9.565 Teilnehmern aus 78 Ländern.

Von April bis Juni 2020 wurden die 9.565 zufällig ausgewählten Teilnehmer online in insgesamt 18 Sprachen zu ihrem psychischen Wohlbefinden befragt. Ziel der Erhebung war es, herauszufinden, welche Faktoren die psychische Gesundheit sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. „Arbeitslosigkeit, fehlende soziale Kontakte und finanzielle Sorgen waren über alle Länder hinweg Faktoren, die die psychische Gesundheit verschlechtern“, resümierte der Innsbrucker Glücksforscher Stefan Höfer, der an der Umfrage mitgewirkt hat.

Wie die Studie zeigte, wiesen Menschen in Österreich, der Schweiz, Deutschland und Portugal während der Pandemie einen Grad höherer psychischer Flexibilität als der weltweite Durchschnitt auf.

Zwischen Meinung und Fakt unterscheiden

Dieses Ergebnis sei zwar wenig überraschend, räumte Höfer ein, dennoch sei es wichtig, diese Ergebnisse zu dokumentieren. „Gerade in Zeiten wie diesen muss klar zwischen Meinung und Fakt unterschieden werden“, meinte der Glücksforscher, der an der Innsbrucker Universitätsklinik für Medizinische Psychologie forscht.

368 Österreicher zwischen 18 und 69 Jahren nahmen an der Umfrage teil. Wer sich dazu bereit erklärte, wurde in Abständen von drei bis vier Wochen immer wieder zu seinem Befinden befragt. „Die Studie zeigt klar: Psychische Flexibilität hilft, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen“, erklärte Höfer, der als einziger Österreicher bei der Studie mitarbeitete.

Menschen haben noch Gefühl der Kontrolle

Unter psychischer Flexibilität verstehe man die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment handlungsfähig zu bleiben. Dies äußere sich dadurch, dass Menschen trotz schwieriger Umstände noch ein „Gefühl der Kontrolle“ hätten, sagte der Glücksforscher. Dabei würden die Menschen nach wie vor ihre als wertvoll eingeschätzten Ziele im Blick behalten. „Menschen mit ausgeprägter psychischer Flexibilität akzeptieren die Umstände, treffen dann aber keine reaktiven, sondern proaktive, bewusste Entscheidungen“, führte Höfer aus.

Die am Jahresende veröffentlichte wissenschaftliche Publikation lege ferner dar, dass rund zehn Prozent der Befragten unter einer massiven Verschlechterung ihres psychischen Zustandes litten. Menschen in Ländern wie die Türkei und Hongkong wiesen ein überdurchschnittlich hohes Stressempfinden auf, die Depressivitätssymptome seien vor allem in den Vereinigten Staaten sehr hoch, berichtete Höfer.

Länger dauernder Ausnahmezustand ermüdet

„Menschen sind grundsätzlich in der Lage, mit einmaligen, zeitlich befristeten Schicksalsschlägen wie etwa Naturkatastrophen, zurecht zu kommen. Je länger ein Ausnahmezustand andauert, desto stärker schwindet diese Fähigkeit“, so Höfer. Irgendwann hätten Menschen keine Ressourcen mehr, und es werde ermüdend.

Er appelliere deshalb an die Politik, langfristig zu denken. Wesentlich für die psychische Gesundheit sei, die Bevölkerung so gut wie möglich „im Arbeitsprozess zu halten“, denn Arbeit sei „sinnstiftend“. Außerdem müsse man finanzielle Abhilfen schaffen und soziale Kontakte ermöglichen. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, ohne Austausch können wir nicht leben“, plädierte Höfer für eine „sinnvolle, langfristige Strategie“.

Wissenschaftliche Erkenntnisse entwickeln sich weiter

Derzeit würden die involvierten Wissenschafter eruieren, wie sich die psychische Flexibilität im Laufe der Pandemie verändert habe, berichtete Höfer. Die Befragung der Probanden sei mit Ende des Jahres vorerst abgeschlossen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Covid-19 und Psyche würden sich jedenfalls ständig weiterentwickeln, die Wissensentwicklung sei kein ausschließlich linearer Prozess. Wissen über Zusammenhänge dürfe sich im Laufe der Zeit verändern bzw. erweitern, meinte Höfer.