Ortszentrum von Ischgl (Tirol)
ORF.at/Lukas Krummholz
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Gericht

Ischgl: VSV rechnet mit Prozessen ab Jänner

Der Verbraucherschutzverein (VSV) geht von ersten Prozessterminen in Sachen Ischgl im Jänner oder Februar des kommenden Jahres aus. Der Verein arbeite derzeit an der Klagebeantwortung, sagte VSV-Obmann Peter Kolba am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien.

Der VSV hatte bereits im Herbst vier Amtshaftungs-Musterklagen gegen die Republik Österreich eingebracht und bisher „zwei, drei“ weitere, sagte Kolba. Über 6.000 Geschädigte hätten sich beim VSV gemeldet. Davon stammen rund 4.000 aus Deutschland, von denen die Hälfte über eine Rechtsschutzversicherung verfüge.

In 30 Fällen gebe es bereits eine Deckungszusage der Versicherung – hier werde entweder eine Klage vorbereitet oder wurde eben schon eingebracht bzw. ein Aufforderungsschreiben an die zuständige Finanzprokuratur als Rechtsanwalt der Republik gerichtet – mehr dazu in Ischgl: VSV bringt bald weitere Klagen ein.

Versicherungen berufen sich auf Pandemieklausel

Österreichische Rechtsschutzversicherungen hätten sich bisher auf eine Pandemieklausel berufen und eine Finanzierung abgelehnt. Eine erst kürzlich vom Wiener Handelsgericht getroffene Entscheidung, wonach eine Berufung auf die Pandemieklausel rechtswidrig sei, eröffne dem VSV und seinen heimischen Geschädigten wahrscheinlich neue Möglichkeiten, gab sich Kolba optimistisch.

Peter Kolba
APA/HERBERT NEUBAUER
Peter Kolba rechnet mit Prozessen ab Jänner oder Februar

„Menschen wurden vom TVB oder von Hotels belogen“

Auch in den Niederlanden rechnet sich der VSV Chancen aus. Eine niederländische Sammelklage gegen die Republik sei nicht möglich. Daher prüfe der Verein nun die Möglichkeit von Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts – also etwa gegen den Tourismusverband Paznauntal (TVB) oder auch Hotels.

Ein Viertel der Betroffenen gab laut Kolba an, dass sie sich vor ihrem Urlaub in der letzten Woche des Skibetriebs in Ischgl informiert hätten, ob es Probleme mit Corona gäbe und das verneint wurde. „Die Menschen wurden vom TVB oder von Hotels belogen“, meinte er. Rund 800 Niederländer meldeten sich als Geschädigte.

Suche nach Prozessfinanzierer für Klage in Österreich

Für all jene Österreicher, die keine Rechtsschutzversicherung haben, wolle man ab Frühjahr 2021 eine Sammelklage nach österreichischem Recht organisieren. Dafür müsse man aber erst einen Prozessfinanzierer finden. Man befinde sich aber schon mit großen Finanzierern in Verhandlungen, betonte der Verbraucherschützer.

Für die nunmehrige Klagebeantwortung an die Finanzprokuratur stütze man sich neben internationalen Studien auch auf ein soeben erschienenes Buch des Bloggers Sebastian Reinfeldt mit dem Titel „Alles richtig gemacht? Ischgl und die Folgen“. Die Finanzprokuratur bestritt im Oktober in einer ersten Klagebeantwortung die Vorwürfe des Vereins. Zudem wurde angegeben, dass etwa ein Allein- bzw. Mitverschulden aufgrund von „Sorglosigkeit“ der Kläger geprüft werden müsse.

Zeitpunkt der Anreise macht Unterschied

Dass der VSV auch aufgrund der nun anstehenden Winterskisaison klagen wird, glaubte Kolba indes nicht. „Es ist ein Unterschied, ob am Beginn der Pandemie Touristen im Unklaren gelassen werden und sie deshalb anreisen“, sagte er. Das Argument, dass Gäste selbst Schuld seien, würde damit an Glaubhaftigkeit gewinnen. Wer jetzt bei diesen Infektionszahlen Buchungen vornehme, „kann dann schwerlich sagen, ich bin in Irrtum geführt worden“.

Erste Infektionen wurden im März bekannt

In Ischgl war es zu einem größeren Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 gekommen. Die ersten Fälle wurden Anfang März bekannt, die Ansteckungen sollen vor allem in Apres-Ski-Lokalen passiert sein. Den Behörden war vorgeworfen worden, zu spät und nicht umfassend genug reagiert zu haben. Der VSV hatte eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebracht. Mehr als 6.000 Tirol-Urlauber aus 45 Staaten hätten sich beim VSV als Geschädigte gemeldet – mehr dazu in VSV rechnet mit fünf Mio. Euro Schadenersatz.

Roland Rohrer
APA/EXPA/Johann Groder
Ronald Rohrer leitete die Expertenkommission zu den Vorkommnissen

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck leitete wegen des Verdachts der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ein Ermittlungsverfahren ein, dieses war im Laufen. Ein bereits präsentierter Expertenbericht sah kein Versagen, aber Fehleinschätzungen der Behörden – mehr dazu in Bericht: „Folgenschwere Fehleinschätzungen“. Druck aus der Tourismuswirtschaft auf Entscheidungsträger wurde nicht festgestellt.