Coronavirus mit DNA-Strang als Fotomontage
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Coronavirus

Virologin: Praxis bei CoV-Regeln zu lax

In Tirol steigen die Reproduktionszahl und die Zahl der nach Tests bestätigten Infektionen mit dem Coronavirus. Von einem „kleinen Peak“ könne man nicht mehr sprechen, sagte am Donnerstag die Direktorin der Virologie der Innsbrucker MedUni, Dorothee von Laer.

Von Laer ruft zu einer konsequenteren Einhaltung der Coronavirus-Regeln auf. Dass rasch ein Impfstoff auf den Markt kommen wird, glaubt die Expertin im Interview mit ORF Tirol Redakteurin Roberta Hofer nicht.

Was bedeutet der Anstieg der Infektionszahlen, muss man sich Sorgen machen?

Erhöhte Wachsamkeit ist angesagt, die Reproduktionszahl und die Neuinfektionen steigen an in Tirol. Tirol gehört wieder zu den Top-Bundesländern, nachdem man anfangs gut dastand. Ich befürchte, man muss erhöhte Wachsamkeit haben. Es gibt Gerüchte, dass Innsbruck gelb wird, das ist wahrscheinlich richtig. Es gibt viele Fälle auch in Innsbruck-Land und es sind einige Cluster aktiv.

Woran liegt der erneute Anstieg? Weil mehr Contact tracing betrieben wird oder weil die Leute fahrlässiger werden?

Das lässt sich nicht sagen. Sicher ist Tirol extrem gut, was die Nachverfolgung der Fälle betrifft. Unsere Infrastruktur ist gut entwickelt, es wird schnell getestet, schnell nachverfolgt. Effizienz spielt eine Rolle, aber es gibt tatsächlich jetzt Cluster verteilt über ganz Tirol, neben den bekannten Clustern. Die Menschen kommen jetzt mehr zusammen und haben das Bedürfnis, zusammen zu sein. Ich weiß nicht, ob das schlechte Wetter letzte Woche eine Rolle spielt, ob man da eher drinnen war. Aber es ist sicher so, dass hohe Achtsamkeit nicht mehr bei allen Menschen gegeben ist. Ich fürchte, da muss man jetzt gegenregulieren. Es ist sehr heterogen. Es ist jetzt nicht mehr ein Superspreading-Format wie eine Apres-Ski-Bar, die man einfach schließen kann. Wir hatten kleinere Ausbrüche in Restaurants, in Bars – aber jetzt sind die Herde breit in Tirol.

Wenn man „Cluster“ hört, denkt man, die sind leichter verfolgbar als Einzelfälle. Ist dieser Schluss richtig oder vermittelt das falsche Sicherheit?

Sicherheit ist das nicht. Es ist Tatsache, wenn etwas bei einem Ereignis einen Ausbruch genommen hat, man erst mal relativ rasch alle Personen, die an diesem Ereignis teilgenommen haben, nachvollziehen kann. Aber dann natürlich, je länger so etwas schwelt, umso schwieriger wird es auch. Man findet immer noch von diesem somalischen Kulturverein Fälle, die sich letztlich darauf zurückführen lassen. Das heißt je weiter das Virus fortschreitet in der Kette der Infektion, desto weiter entfernt es sich von dem ursprünglichen Ereignis. Und wie man ja sieht sind wir immer noch nicht schnell und effizient genug darin, die Cluster zu stoppen. Das ist natürlich eine logistische Herausforderung, zumal in ganz Tirol kleine Feuerchen aufgeflammt sind, die ausgetreten werden müssen.

Bräuchte es mehr Personal für diese Nachverfolgungen?

Sicherlich müssen die Gesundheitsämter und deren Institutionen noch besser ausgestattet werden, da braucht man natürlich Personal. Da würde ich auf jeden Fall dafür plädieren, dass man sich zusammensetzt und sich Gedanken macht, wo man mehr Personal gebrauchen kann, dass man noch schneller wird in der Nachverfolgung. Und dass man, noch vor alle Testergebnisse vorliegen, alle Kontaktpersonen isolieren und die in Ruhe testen kann.

Wie beurteilen Sie das: Ist die Situation derzeit, wie es anfangs hieß, ein „Peak“ oder ein Trend?

Absolut. Wir haben in fast allen Bundesländern kein Rauschen mehr oder einen kleinen Peak, sondern es ist tatsächlich ein kontinuierlicher Anstieg. Jetzt fangen auch die Bundesländer, die anfangs gut waren, an zu steigen und Tirol ist da leider weit vorne mit Wien zusammen. Das ist keine Schwankung mehr, das ist eindeutig ein Aufwärtstrend, da muss man einschreiten und zwar wirklich konsequent: vernünftige Masken tragen, Abstand halten, das Händeschütteln ist schon wieder verbreitet, das berühmte Umarmen seh’ ich jetzt wieder, das geht einfach nicht, auch nicht in der Familie. Wenn man ein Familienfest macht, natürlich die enge Familie ja – aber die gesamte Verwandtschaft fällt da einfach nicht darunter. Auch da muss man die Abstände halten, auch da gelten leider die Coronavirus-Regeln. 7.40

Die Schule hat noch nicht begonnen. Der befürchtete Anstieg kam jetzt schon früher, oder?

Wir wollen ja nicht, dass das auf den Rücken der Schüler ausgetragen wird. Gerade die Erwachsenen müssen sich jetzt wirklich disziplinieren und diese Coronavirusregeln einhalten und sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wir wollen nicht wieder Schulen schließen müssen, wir wollen nicht Restaurants schließen müssen. Ich kann nur sagen, Achtsamkeit ist jetzt wirklich notwendig von jedem einzelnen.

Derzeit werden wenige Patienten in Krankenhäusern behandelt, die Lage ist gut. Woran liegt es, dass der Anstieg dort noch nicht spürbar ist?

Sicher, wir diagnostizieren mehr, dadurch ist die Hospitalisierungsrate geringer. Am Anfang hieß es, wenn man keine Symptome hat, wird man nicht getestet, jetzt testen wir alle. Aber es ist trotzdem so, dass das Alter eine wichtige Rolle spielt, wir haben relativ viele infizierte junge Erwachsene. Dass das Virus sich abgeschwächt hätte, dafür gibt es keinen Hinweis.

Welche Informationen haben Sie bezüglich eines Impfstoffs?

Ich denke, wir haben weltweit viele hoffnungsvolle Kandidaten in verschiedenen Labors sowohl in der Industrie als auch in akademischen Labors. Die Hürde sind jetzt die klinischen Phasen, das dauert eben ein bisschen. Die Russen haben da viele Shortcuts gemacht, dieser Impfstoff wird so bei uns sicherlich nicht zugelassen werden können. Dafür fehlen die hohen Zahlen und die Nachverfolgungszeiten, die man für die Sicherheit eines Impfstoffs braucht. Aber dass wir einen bekommen, das würde ich mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen. Wann? Dass das Anfang nächsten Jahres sein kann, möchte ich bezweifeln, aber gegen Ende nächsten Jahres werden wir einen haben.