Im hinteren Längental im Kühtai, wo die TIWAG in den kommenden sechs Jahren ihr neues Kraftwerk bauen wird, leben rund 70 Gämsen in kleineren Rudeln. Der Kraftwerksbetreiber möchte erforschen, wie sich die Bauarbeiten auf das Leben der Tiere auswirken.
Um ihre Bewegungen aufzuzeichnen, müsste man die Gämsen allerdings mit Sendern versehen, was bei wildlebenden Tieren ein zeitaufwendiges und heikles Unterfangen ist. Daher soll eine tierische Spezialeinheit zum Einsatz kommen: zwei einjährige Böcke aus dem Innsbrucker Alpenzoo.

Im Dienste der Forschung
In zwei Wochen sollen sie mit Sendern ausgestattet im Längental ausgesetzt werden und die wilde Herde infiltrieren. „Wir werden die Tiere zu einer wildlebenden Gruppe bringen“, sagte Martin Schletterer, Biologe der TIWAG. „Das sind junge Böcke, und wir gehen davon aus, dass sie sich problemlos der Herde anschließen werden.“ Auch Dirk Ullrich, der Biologe, der das Projekt vonseiten des Alpenzoos betreut, ist zuversichtlich: „Die sind jung und daher unheimlich anpassungsfähig. Ich gehe davon aus, dass die ziemlich schnell Kontakt aufnehmen werden.“

Hightech-Sender an Hals und Ohr
Sobald sie in die Herde eingeschleust sind, werden die Gämsen genaue Positionsdaten senden – mit modernster Technik. Jeder der Böcke wird einen Sender um den Hals tragen, der seine Positionsdaten über das Handynetz weiterleitet. Parallel dazu sind die Undercover-Gämsen auch mit einer Ohrmarke versehen, die ihren Standort meldet. Die Batteriekapazität sollte für zwei Jahre reichen. Dann werden weitere zwei Alpenzoogämsen ausgeschickt.
Insgesamt will man die Bewegungen der Gämsen im Kühtai über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg aufzeichnen. TIWAG-Biologe Schletterer erhofft sich dadurch neue Aufschlüsse über das Wanderverhalten der Gämsen.

Fit für die Wildnis
Die jungen Böcke seien im Alpenzoo bestens auf das Überleben in der Wildnis vorbereitet worden, sagte Ullrich: „Unser Gehege hier simuliert die alpine Welt. Das heißt, die Tiere lernen bei uns zu springen und zu klettern. Die sind fit und bei bester Gesundheit.“ Auch die Ernährung sollte für die an eine tägliche Fütterung gewöhnten Zootiere kein Problem darstellen, hofft TIWAG-Biologe Schletterer, im August fänden sie im Kühtai genügend Futter.
Die Feinheiten wie Salzlecken oder Unterstände bei Schlechtwetter würden sich die Böcke aus dem Alpenzoo rasch bei ihren wildlebenden Kollegen abschauen, so Ullrich: „Die brauchen sich da nur ein wenig ranzuschmuggeln, dann wird das schon klappen.“

Eine Reise ohne Wiederkehr
Ihre Zuversicht beziehen die Biologen aus den Erfahrungen, die der Alpenzoo seit Jahrzehnten mit der Auswilderung von Steinböcken gemacht hat. „Da haben wir ganz geringe Ausfallquoten“, sagte Ullrich, „entscheidend ist das erste Jahr.“ Wenn sie das überstehen, ist die Mission im Kühtai für die Böcke aus dem Alpenzoo eine Reise ohne Wiederkehr, denn im Zoogehege gibt es nur Platz für einen einzigen erwachsenen Bock. „Die müssen also ohnehin raus“, so Ullrich. „In der freien Natur gibt’s Junggesellengruppen, an die sie sich anschließen können. Eines Tages müssen sie dann ihren Mann stehen, und so ist das für sie eine gute Wahl.“