Existenzängste, soziale Isolation, Überforderung mit Homeoffice und Kinderbetreuung – in Krisensituationen steigt die Gefahr mehr Alkohol zu trinken, erklärte Suchtexperte Christian Haring, der Leiter der Psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Hall: „Viele spüren durch Alkohol eine Entängstigung, eine Auflockerung, dass ihre Befürchtungen weniger werden. Damit wird der Griff zum Alkohol leichter“, so der Experte.
Menschen, die bereits Erfahrung mit Alkohol haben, könnten ihn in Krisenzeiten einsetzen, um ihre Stimmung zu regulieren, erklärte Haring. In einer solchen Ausnahmesituation liefen gerade trockene Alkoholiker, aber auch gefährdete Menschen, Gefahr, sich durch die Droge eine Erleichterung ihrer Situation zu erhoffen.
Kontrollverlust ist Warnzeichen
Kritisch werde es immer dann, wenn man den Alkoholkonsum nicht mehr selbst steuern kann: "Es ist ein Unterschied, ob ich Alkohol trinken will oder muss. Wenn es bei einem Glas bleibt, zeigt das, dass jemand seinen Konsum kontrollieren kann. Wenn daraus aber exzessives Trinken wird, dann zeigt das, dass die betroffene Person ihr Verhalten nicht mehr im Griff hat.
Krebs als Folge täglichen Trinkens
Bei Männern gelten 60 Gramm Alkohol als noch vertretbar – dies entspricht etwa einem großen plus einem kleinen Bier. Frauen wird geraten, nicht mehr als 40 Gramm Alkohol zu sich zu nehmen – das entspricht einem großen Bier. Auch diese Menge sei aber, wenn sie täglich getrunken werde, bereits sehr viel, so Haring. Alles darüber sei klar gesundheitsschädlich und gefährlich.
Körperliche Folgeschäden wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs können die Folge täglichen exzessiven Trinkens sein, warnte der Mediziner. Es sei daher ungeheuer wichtig, eine gesunde Kultur im Umgang mit Alkohol zu pflegen.
Krisen-Folgen werden bleiben
Die psychosozialen Folgen dieser Krise werden länger nachwirken, zeigte sich Psychiater Christian Haring überzeugt: „Manche Betriebe tun sich schwer, wieder auf die Beine zu kommen, Menschen sind von Arbeitslosigkeit bedroht. Viele werden diese Krise weiter erleben und damit weiter Gründe haben, zu trinken“, so Haring. Die psychosozialen Folgen könnten dadurch erst später zum Tragen kommen.
In der Therapie gehe es darum, herauszufinden, wofür und in welchen Situationen Betroffene den Alkohol eingesetzt haben, erläuterte der Arzt. Sie müssen dann Alternativen erarbeiten. Es sei wichtig, die Behandlung über eine längere Zeit fortzusetzen, da jede Jahreszeit ihre potentiellen Fallen, wie etwa Fest- und Feiertage habe.
Ob durch die Coronakrise jetzt mehr Menschen in eine Alkoholabhängigkeit schlittern, könne man derzeit noch nicht sagen. Er könne sich aber gut vorstellen, dass manche versucht haben, durch Alkohol ihre Ängste abzubauen, gab der Psychiater zu bedenken: „Immer dann, wenn ich merke, dass ich Alkohol wie ein Beruhigungsmittel einsetze, sollte ich vorsichtig sein“, so Haring.