Grenzkontrolle durch die Polizei in Scharnitz
zeitungsfoto.at/Liebl Daniel
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Chronik

Wirrwarr bei Familienbesuch über die Grenze

Die unterschiedliche Praxis bei grenzüberschreitenden Familienbesuchen verärgert derzeit viele Menschen. Während das Gesundheitsministerium anbietet, familienbedingte Ausnahmen vom Reiseverbot sehr offen auszulegen, werden viele Reisende an der Grenze zurückgewiesen oder sehen sich mit Quarantäne-Androhungen konfrontiert.

Bei grenzüberschreitenden Familienangelegenheiten gelten zum einen die Bestimmungen des Auslandes, also von Deutschland und Italien, zum anderen die österreichischen Bestimmungen. Unabhängig von den Tiroler Nachbarn gab es an der österreichischen Grenze in den vergangenen Tagen große Verunsicherung und Ärger.

Deutschland und Italien haben eigene Regelungen

Eine Bundesverordnung, die am 2. Mai 2020 in Kraft trat, erwähnte besonders berücksichtigungswürdige Gründe im familiären Kreis als Ausnahme vom Reiseverbot. Was darunter zu verstehen sei, ließ das Ministerium offen. Deutschland definierte das von Beginn an präzise: Das Besuchen und/oder Abholen minderjähriger Kinder oder der Besuch von Ehegatten ist erlaubt, der Besuch von Partnern, Großeltern oder anderen Verwandten nicht. Italien erlaubt die Einreise mit einer Eigenerklärung, in der die Familienangelegenheit angeführt wird.

Österreich: Verwirrung statt offene Auslegung

In Österreich nennt die Verordnung keine Beispiele. In Interviews erläuterte der Sonderbeauftragte für Gesundheit, Clemens-Martin Auer, dass die Ausnahmen durchaus offen zu interpretieren seien. Reisen seien erlaubt, so die Botschaft, wenn man den familiären Grund dafür an der Grenze glaubhaft machen kann, es müsse sich nicht nur um traurige Ereignisse wie Beerdigungen handeln. Ein molekularbiologischer Test oder Quarantäne in Österreich seien in diesen Fällen nicht vorgesehen, so Clemens-Martin Auer gegenüber ORF Tirol vergangene Woche. Das Gesundheitsministerium bekräftigte diese Aussagen in einer APA-Meldung.

Aktuelle Definition

Das Gesundheitsministerium ändert seine Beschreibung von familiären Gründen, hier die derzeit gültige Version.

Betroffene fühlen sich als Opfer von Willkür

Die Praxis sieht seit Anfang Mai anders aus. ORF Tirol liegen zahlreiche Fälle vor, in denen Betroffene entweder nicht nach Österreich einreisen durften, um Verwandte zu besuchen, oder bei der Einreise – nach Familientreffen im Ausland – mit der Aufforderung zur 14-tägigen Selbstisolation konfrontiert waren. Wieder andere erhielten bei der Hotline des Landes Tirol noch um den 10. Mai die Auskunft, dass „die Verordnung nachgeschärft und damit Quarantäne unausweichlich“ sei.

Ebenso gibt es Fälle, wo ein grenzüberschreitender Familienbesuch problemlos stattfinden konnte. Ein weiterer paradoxer Fall wird vom Brenner berichtet. Der in Innsbruck lebende obsorgepflichtige Vater eines 13-jährigen Mädchens wagte es nach wochenlanger ständig widersprüchlicher Rechtsauskünfte nicht, seine Tochter in Bozen zu besuchen. Schließlich entschied die Familie anders und organisierte den Besuch der Tochter beim Vater – das ging problemlos.

Praxis derzeit für alle unbefriedigend

Das Land Tirol verweist auf fehlende Vorgaben, wie die Verordnung umzusetzen sei. Die familienbedingten Ausnahmen seien vom Ministerium in den vergangenen zehn Tagen dreimal geändert worden. Ein Durchführungserlass, der regle, ob z. B. der Besuch von Adoptivsöhnen und Stiefmüttern zu den Ausnahmen gehöre und wie diese Besuche an der Grenze konkret glaubhaft gemacht werden sollen, fehlte zunächst, so Landesamtsdirektor Herbert Forster.

Einer sehr offenen Auslegung der Ausnahmen rund um den Muttertag sei in der Woche danach wieder eine strengere Auslegung gefolgt: So begründeten (Stand Donnerstagnachmittag) Besuche von erkrankten Angehörigen oder Lebenspartnern oder Obsorgepflichten eine Ausnahme vom Reiseverbot, als Anlässe zählten Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten oder Geburtstage.

Durchführungserlass oder Lockerung

Man ersuche das Gesundheitsministerium um eine Präzisierung, die die derzeitige Verärgerung der Bürger vermeiden könnte, so Landesamtsdirektor Forster. Damit könnte auch verhindert werden, dass Bundesheersoldaten und Polizisten an der Grenze von aufgebrachten Betroffenen beschimpft würden. Vor diesem Hintergrund freue sich das Land schon auf die für „demnächst“ angekündigten Lockerungen an den Grenzen.