Gletscher schmolzen teilweise extrem
Dramatische Verluste gab es unter anderem in der Silvretta. Die Gletscherforscherin Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nimmt seit Jahren den Jamtalferner bei Massenbilanzmessungen unter die Lupe. Sie sagt, der Gletscher sei heuer vollständig ausgeapert und aus den frei werdenden Felsflanken gebe es viele Stein- und Felsstürze auf das Gletschereis.
Andrea Fischer
Im Zungenbereich habe der Gletscher über sechs Meter an Eisdicke eingebüßt und selbst in den obersten Bereichen ging die Eisdicke um einen Meter zurück. Im Durchschnitt habe der Gletscher heuer zwei bis drei Meter an Eisdicke verloren, während der Verlust in den vergangenen Jahren bei etwa einem halben Meter bis einem Meter Eis gelegen habe.
Andrea Fischer
Neuer See im Gipfelbereich
Ein Kuriosum erwähnt Fischer beim Jamtalferner auch: Durch die starke Schmelze sei im Gipfelbereich ein See entstanden. So ein See könne relativ leicht ausbrechen, wenn das Wasser unter dem Gletschereis einen Weg findet. „Das hat ein gewisses Naturgefahrenpotenzial, in den allermeisten Fällen gibt es aber keine Schadensereignisse.“
Andrea Fischer
Ebenfalls noch stark, aber nicht ganz so dramatisch, sind laut Fischer die Verluste weiter im Osten. So sei am Mullwitzkees in der Venedigergruppe noch etwas Schnee vom Winter liegen geblieben. „Die Massenbilanz ist auch negativ, aber nicht so extrem schlecht wie am Jamtalferner“, so Fischer.
Andrea Fischer
Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen wird ebenfalls die Massenbilanz gemessen. Auch dieser Gletscher verlor in diesem Sommer stark an Masse. Die Zahlen sind noch nicht vollständig ausgewertet, laut dem Gletscherforscher Christoph Mayer dürfte es heuer die zweitschlechteste Massenbilanz seit Beginn der Messungen geben. Lediglich im Sommer 2003 dürfte der Vernagtferner noch mehr an Masse verloren haben. Webcambilder zeigen eindrücklich das Dahinschwinden des Vernagtferners in den letzten Jahren.
Erdmessung und Glaziologie, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Neue Seen entstehen
Auch in den Stubaier Alpen gebe es an einigen Gletschern durch die Schmelze massive Veränderungen. So habe sich an der Zunge des Grünauferners am Wilden Freiger ein massiver Trichter gebildet, weiß Fischer. Wahrscheinlich werde an dieser Stelle ein neuer Gletschersee entstehen.
Andrea Fischer
Auslaufende Seen können gefährlich werden
Ausbrüche von Gletscherseen könnten in den nächsten Jahren in Tirol wieder mehr zum Thema werden. In vergangenen Jahrhunderten kam es in Tirol durch vorstoßende Gletscher zu Seeausbrüchen, die unter anderem das Ötztal verwüsteten. Jetzt könnten Seeausbrüche unter umgekehrten Vorzeichen ebenfalls wieder zum Thema werden, etwa wenn eine Moräne dem aufgestauten Schmelzwasser nicht mehr standhalten kann, so Fischer. Besonders gefährlich könnte es werden, wenn solche Seen unvermittelt und bei schönem Wetter ausbrechen.
Hermann Hammer; tirol.ORF.at