Einmaliges Heiligtum bei Lienz ausgegraben

Archäologen der Universität Innsbruck haben bei Ausgrabungen in Lienz ein besonderes Heiligtum ausgegraben. Es war vor und nach der römischen Eroberung in Betrieb. Hunderte kleine Statuen zeugen von der Volksfrömmigkeit in dieser Übergangszeit.

Die Ausgrabungsstätte befindet sich auf einem Hügel am Stadtrand von Lienz, dem sogenannten „Frauenkloster Bühel“. Wo heute Wald ist, war vor etwa 2.000 Jahren ein beliebter Wallfahrtsort. Das Heiligtum war von einer mehrere hundert Meter langen Mauer eingefasst, die 80 Zentimeter stark und gut zwei Meter hoch gewesen sein dürfte.

Bewaldeter Hügel am Rand von Lienz

Gerald Grabherr

Der Fundplatz liegt auf einem heute bewaldeten Hügel oberhalb von Lienz

Bevölkerung leistete Römern Widerstand

Seine erste Blüte erlebte das Heiligtum im 1. Jahrhundert vor Christus, also noch vor der römischen Eroberung in der Latènezeit. Im Jahr 16 vor Christus eroberten die Römer das Heiligtum. Im Gegensatz zur sonst meist friedlich verlaufenden Eroberung im Bereich der zukünftigen Provinz Noricum dürften die Römer hier auf Widerstand gestoßen sein. Davon zeugen unter anderem 16 Artilleriegeschoßspitzen und Nägel aus den Schuhen römischer Legionäre, welche die Archäologen gefunden haben.

Archäologische Grabung im Wald

Gerald Grabherr

Archäologen fanden Hinweise auf eine gewaltsame Eroberung

Den Betrieb des Heiligtums dürfte die römische Eroberung aber nicht nachhaltig gestört haben. Zumindest fanden die Archäologen keine Hinweise auf eine Unterbrechung des Kults. Es schaut danach aus, dass man sich rasch mit den Römern und ihren neuen Göttern arrangiert hat.

Hunderte Götterfiguren ausgegraben

Die sehr zahlreichen kleinen Votivstatuetten aus einer Zinn-Blei-Legierung repräsentieren fast die gesamte antike Götterwelt vom Göttervater Jupiter, seiner Frau Juno über die Minerva, den Handelsgott Merkur, die Liebesgöttin Venus, Mars den Kriegsgott bis zur Siegesgöttin Victoria. Möglicherweise repräsentieren einzelne der Figuren auch lokale einheimische Gottheiten. Im Heiligtum sind die Archäologen unter der Leitung von Gerald Grabherr auf die Fundamente eines Tempels gestoßen. Das Tempelgebäude selbst dürfte aus Holz errichtet worden sein.

Götterstatuette liegt in einer Hand

Gerald Grabherr

Eine von Hunderten der hier entdeckten Votivstatuetten

Es dürfte sich um den größten Bestand solcher Statuetten überhaupt handeln, sagt Grabherr. Ihre Anzahl liege sicher im dreistelligen Bereich. Die meisten Statuetten stammen aus dem ersten Jahrhundert nach der Eroberung, dann nimmt ihre Zahl ab. Gefunden wurden auch zahlreiche Münzen, die hier geopfert wurden. Letzte Münzen ungefähr aus dem Jahr 380 nach Christus tragen möglicherweise bereits christliche Motive.

Einfache und traditionell geprägte Frömmigkeit

Es deutet vieles darauf hin, dass das Heiligtum in Sichtweite der römischen Stadt Aguntum eher der Volksfrömmigkeit diente und von der einfachen Bevölkerung genutzt wurde. Hier gibt es laut Grabherr keine Zeugnisse etwa von Bürgermeistern oder Gemeinderäten aus Aguntum. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass in einem traditionell geprägten Heiligtum Frömmigkeitsbezeugungen der Oberschicht, etwa durch Marmortafeln, nicht angemessen erschienen.

Archäologische Grabung im Wald

Gerald Grabherr

Archäologen konnten die Grundmauern eines römischen Tempels freilegen. Die römische Oberschicht hatte hier aber offensichtlich nichts zu sagen.

Von einem Osttiroler Hobbyarchäologen entdeckt

Die Grabungen dauern noch bis Anfang August, am 3. August sollen die Ausgrabungen wieder zugeschüttet werden. Das Zuschütten ist kein Akt einer Geringschätzung, sondern dient der optimalen Erhaltung der nicht gehobenen Funde und Strukturen. Entdeckt wurde das Heiligtum vom Leisacher Hobbyarchäologen Josef Kalser, der auf dem Gelände mehrere Funde machte und seine Entdeckungen der Universität Innsbruck und dem Bundesdenkmalamt meldete und damit professionellen Ausgrabungen den Weg bereitete.

Laut Grabherr ist der mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Fundplatz mit keinem weiterem in der Provinz Noricum und teilweise auch darüber hinaus vergleichbar, „wir haben da wirklich etwas ganz Neues“. Die Ausgrabungen bestätigen laut Grabherr, dass Kontakte zwischen Kulturen nicht nach einem Schema ablaufen, sondern vielschichtig sind. Neben starken Anpassungen gebe es auch die Möglichkeit, Traditionen beizubehalten.

Hermann Hammer; tirol.ORF.at