Das Ende der Irrenanstalten

Vor 40 Jahren hat die sogenannte „Lex Basaglia“ das Ende der geschlossenen Irrenanstalten in Italien eingeläutet. Auch Südtirolern mit psychischen Erkrankungen hatte bis dahin die Unterbringung in geschlossenen Anstalten gedroht.

Menschen in Zwangsjacken oder ans Bett gefesselt, Elektroschocks und abgesperrte Räume: Diese Zustände waren Teil der Realität der „Irrenanstalten“ Italiens in den 1960er Jahren. Südtiroler Patientinnen und Patienten wurden damals oft in die Anstalt von Pergine in der Valsugana gebracht. Mit der Einlieferung verloren sie ihre Bürgerrechte, wurden hinter Gittern untergebracht.

Franco Basaglia experimentiert mit der Freiheit

Der italienische Psychiater Franco Basaglia war schockiert über den Umgang mit psychisch Kranken, als er 1961 die Forschung an der Universität aufgab und die Leitung einer Anstalt übernahm. Er bezeichnete Kollegen als „Folterer“, statt Heilanstalten sah er Gefängnisse.

Italienischer Psychiater Franco Basaglia

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Franco Basaglia galt als charismatischer Vordenker, stand aber für seine radikalen Ideen oft in der Kritik

Das Credo „Freiheit heilt“ setzte Basaglia gleich in seiner Anstalt um. Er unterschrieb keine Genehmigungen mehr, Patienten festzuzurren und wandelte mit Gleichgesinnten seine Anstalt in eine offene Klinik um, in der Patienten wieder als Menschen wahrgenommen wurden. Besuche wurden nicht nur erlaubt, sondern gefördert. Abgeriegelte Räumlichkeiten wurden geöffnet, Cafés eingerichtet. Die Art der Betreuung wurde auf den Kopf gestellt.

Rückschläge, Tote und goldene Käfige

Basaglias Weg war nicht einfach. Dem Personal der Anstalt wurde deutlich mehr Arbeit abverlangt. Außerdem zeigte sich mehrmals, wie gefährlich aber auch sensibel die psychiatrische Arbeit ist. Im Herbst 1968 ermordete ein Patient auf Freigang seine Frau mit einem Hammer. Ein anderes Mal tötete ein Patient nach seiner Entlassung seine Eltern. Basaglia wurde zwar vor Gericht keine Schuld zuerkannt. Seinen Kritiern aber lieferte er genügend Angriffsfläche.

Psychiatrische Klinik von außen

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Franco Basaglias Idee der offenen Psychiatrie fand weltweit Resonanz

Die Veränderungen in der Gesellschaft waren aber auf Basaglias Seite. Eine erste Reform der Psychiatrie 1968 ging ihm und den Vertretern der "Demokratischen Psychiatrie nicht weit genug. Basaglia wollte die geschlossenen Anstalten nicht einfach in goldene Käfige umbauen, sondern den Käfig als solches abschaffen.

In einer weiteren Klinik in Triest setzten Franco Basaglia und seine Mitstreiter ihren Weg fort, bis im Jahr 1978 ein staatliches Gesetz mit seinem Namen das Ende der geschlossenen Anstalten in ganz Italien vorschrieb.

Der Reformer stirbt, die Revolution geht weiter

Die komplette Veränderung sollte freilich Jahre dauern. Zunächst mussten zahlreiche neue Einrichtungen geschaffen werden. Auch in Südtirol musste eine komplett neue Struktur errichtet werden, damit psychisch Kranke die Hilfe bekommen konnten, die ihnen zustand. Überlastet waren in der Zeit nach Einführung der großen Reform auch zahlreiche Angehörige. Das Ende vieler Anstalten bedeutete in vielen Fällen auch, dass die Betreuung zu einem Teil von Familienmitgliedern übernommen werden musste.

Franco Basaglia starb 1980. Die dramatische Veränderung, der er angestoßen hat, konnte er damit nur in Teilen miterleben. Seine Idee aber lebt. Es gibt keine Insassen und keine Wärter mehr. Heute begegnen sich Ärztinnen, Pfleger und Patienten auf Augenhöhe – und in Freiheit.

David Runer; tirol.ORF.at

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