„Südtiroler Bergdoktor“ geht in Pension

Den Bergdoktor gibt es nicht nur im Film. Hausarzt Reinhard Zingerle war in Deutschnofen nahe Bozen eine Institution, Seelentröster und erste Anlaufstelle für medizinische und sonstige Probleme. Nach 38 Jahren ging er jetzt in Pension.

Elisabeth Pfeifer strickt Socken im schönsten Jägergrün für Doktor Zingerle - beileibe nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal ist es ein Abschiedsgeschenk. Der Dorfarzt geht in Pension. Mehr als 38 Jahre lang stand der Mediziner den Deutschnofnern mit Herz und Verstand zur Seite. Auch Familie Pfeifer hat mit seiner Hilfe Kinderkrankheiten, Tumore und schwere Verletzungen überstanden. Elisabeth Pfeifer hat 24 Enkel und zwölf Urenkel, fast alle hat Doktor Zingerle behandelt. Die Deutschnofnerin erinnert sich: „Der Schwiegersohn hat sich mit der Motorsäge in den Fuß geschnitten. Der Doktor ist gekommen, er hat ihn direkt am Hof genäht. Dabei hatte der Schwiegersohn einen Herzstillstand. Als es ihm nach der Wiederbelebung etwas besser ging, haben erst einmal alle einen Cognac gebraucht.“

Reinhard Zingerle im Gespräch mit zwei Frauen von Fam. Pfeifer auf Sofa, eine Frau strickt Socken

ORF

Hausarzt Zingerle war für Familie Pfeifer medizinische Autorität und Freund

In den letzten vier Jahrzehnten war Reinhard Zingerle medizinische Autorität, Seelentröster und Fels in der Brandung im Dorf im Eggental. Mit 28 Jahren hat der Bozner in Deutschnofen die Stelle als Hausarzt angetreten und jede Herausforderung angenommen. „Da war eine relativ junge Frau mit Metastasen im Rippenfell. Fast täglich musste sie akupunktiert werden. Ich wollte ihr nicht zumuten, dass sie im terminalen Zustand ständig ins Krankenhaus fahren muss, und so habe ich das gemacht“, erklärt der Art und fügt hinzu: „Ich hab mich halt getraut, heute würde ich mich eh nicht mehr trauen.“

Reinhard Zingerle redend und mit hand gestikulierend auf Couch

ORF

Reinhard Zingerle war praktisch 24 Stunden am Tag für seine Patienten da

Gemeinsam mit Ehefrau immer für Patienten da

Über fast jede Familie im Dorf könnte der Arzt eine Geschichte erzählen - traurige und viele mit Happy End. So überlebte der Freund seines Sohnes, der in den Teich gefallen war, dank der Wiederbelebung durch Reinhard Zingerle: „Die Kinder sind zusammen aufgewachsen, wir kennen die Eltern. Plötzlich liegt der Bub triefend nass und leblos neben Teich. Das waren berührende Momente.“

Reinhard Zingerle und seine Ehefrau Elfriede erleben nun seit vielen Jahren die ersten Tage ohne Patienten. Seite an Seite waren die gelernte Krankenschwester und der Arzt für die Patienten da, oft Tag und Nacht. Elfriede Zingerle, bisher Ordinationsassistentin bei ihrem Mann, vermisst die Arbeit schon ein bisschen: „Wenn man so viele Jahre so intensiv mit Menschen gearbeitet hat, dann fehlen einem die ganz einfach. Das kann ja nicht anders sein!“

Reinhard Zingerle im verschneiten Garten vor Haus

ORF

Ganz müssen die Deutschnofner nicht auf ihren „Bergdoktor“ verzichten

Feste Institution im Dorf

Im Rathaus wird jetzt die Übergabe an die nachfolgenden Hausärzte besprochen. Mit dabei ist Gemeindereferentin Ursula Thaler. Sie wurde geboren, als Doktor Zingerle seine Stelle annahm, ihre Familie hat er oft begleitet. „Doktor Zingerle hat die Stärke, sich auf den Menschen einzustellen, den er als Patienten begleitet. Das ist eine große Gabe und Stärke, jeden dort abzuholen, wo er ist“, betont die Deutschnofnerin. Früher waren in einem Dorf der Pfarrer, der Arzt und der Lehrer Institutionen. Für Bürgermeister Christian Gallmetzer war auch Reinhard Zingerle so eine Person: „Doktor Zingerle hat wahrhaftig das Leben in Deutschnofen mitgeprägt. Er ist im Frühjahr 1979 hierhergekommen und über 38 Jahre geblieben. Da sind menschliche Beziehungen und viel Vertrauen entstanden.“

Der Abschied der Deutschnofner von ihrem Hausarzt und umgekehrt wird ein langsamer sein, davon ist Doktor Zingerle überzeugt: „Wir wohnen nach wie vor hier. Wir haben viele persönliche Beziehungen aufgebaut, das kann und will man nicht einfach abbrechen. Wir sind sicher weiter für die Leute da.“