Judenhatz: Innsbruck war brutalste Stadt

Heute vor 75 Jahren kam es auch in Innsbruck im Zuge der sogenannten Reichskristallnacht zu einer fürchterlichen Hetzjagd auf die jüdische Bevölkerung. Ein jetzt bekannt gewordener Briefverkehr schildert die brutalen Ereignissen dieser Zeit.

Szene der Pogromnacht Innsbruck

ORF

Die Menorah am Landhausplatz zeugt von den Morden in Innsbruck.

Seit 1997 steht auf dem Innsbrucker Landhausplatz die Menorah - ein Mahnmal zum Gedenken der Ermordeten Juden der Pogromnacht 1938: Richard Berger, Richard Graubart, Josef Adler und Wilhelm Bauer. Innsbruck war damals der blutigste Schauplatz überhaupt, weiß der Tiroler Zeithistoriker Niko Hofinger. Gemessen an der Anzahl der jüdischen Bevölkerung seien in keiner anderen Stadt des deutschen Reiches so viele Menschen umgebracht worden.

Abgründiger Ehrgeiz von Gauleiter Hofer

Die Morde waren aber nur die Spitze der Ausschreitungen. Viele Juden wurden damals geschlagen und schwer verletzt. Begonnen hatte die Ausgrenzungspolitik schon Monate zuvor. Im Vorfeld des Anschlusses von Österreich an Deutschland musste sich die jüdische Bevölkerung, so Hofinger, bei den Behörden registrieren lassen, damit sie von der Anschluss-Abstimmung ausgeschlossen werden konnten. Mit der Registrierung aller Juden hatten die Nationalsozialisten alle Möglichkeiten, die jüdische Bevölkerung aus dem Alltagsleben zu drängen. Verschärft wurde die Situation in Tirol durch den abgründigen Ehrgeiz des damaligen Gauleiters Franz Hofers, Tirol und Vorarlberg als ersten judenfreien Gau nach Berlin zu melden.

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Ereignisse, Trauer und Leid in Briefen festgehalten

Besonders berührend und offen sind die Geschehnisse und die damit verbundene Angst und Trauer in einem Briefwechsel niedergeschrieben, den Historiker Niko Hofinger von einer Familie aus Israel erhalten hat und der jetzt aufgearbeitet wurde. Der Briefverkehr stammt von der Innsbrucker Kaufmannsfamilie Krieser.

So schreibt Mutter Fanny ihrer Tochter Ernerl im Juli 1938 nach Italien:

Für uns wird das Leben hier immer schwerer und schwerer. Wir dürfen nicht mehr in den Hofgarten und in kein Lokal, auch die gegenseitigen Besuche müssen sich aus verschiedenen Gründen aufhören und so leben wir ein klägliches Leben.

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Verzweiflung treibt Frau Goldenberg in den Tod

Und in einem weiteren Brief im November 1938 an Tochter Ernerl übermittelt sie ihr die traurige Nachricht vom Selbstmord einer jüdischen Freundin in der Andreas Hofer Straße:

Soeben erfuhr ich von dem schrecklichen Unglück, welches sich gestern zugetragen hat. Frau Goldenberg hat sich vom 2. Stock ihrer Wohnung heruntergestürzt und ist an Gehirnerschütterung und Arm- und Beinbruch gestorben.

Szene der Pogromnacht Innsbruck

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Der Freitod von Frau Goldenberg war damals nicht der einzige Selbstmord in Innsbruck.

Am 9. November schlagen die SS-Schergen zu

Im ganzen Reich brennen in einer bisher nie dagewesenen Pogromnacht die Synagogen, auch in Innsbruck. SS-Schergen haben volle Aktionsfreiheit, es gibt Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung, Festnahmen und Mordbefehle - vier in Innsbruck.

  • Mord an Richard Berger
    In der Anichstraße 13 wird Bundesbahn-Oberbaurat a. D. Richard Berger von drei SS Männern aus seiner Wohnung geholt und mit dem Auto stadtauswärts Richtung Kranebitten gebracht, wo sie ihn am Innufer mit Fausthieben traktieren, dann zu Tode steinigen und anschließend seine Leiche in den Fluss werfen.
  • Mord an Josef Adler
    In der Anichstraße 5 wohnt Josef Adler mit seiner Familie. Sie werden von einem Kommando des SA-Eisenbahnersturms niedergeschlagen. Josef Adler erliegt kurze Zeit später seinen Verletzungen.
  • Mord an Wilhelm Bauer
    Im Saggen, Gänsbacherstraße 5, misshandeln SS Schergen im Parterre des Hauses Wilhelm Bauer, Kaufmann und Chef der jüdischen Handelsorganisation. Vor der Haustür liegend wird er mit einem Messerstich in die Brust ermordet.
  • Mord an Richard Graubart
    Im selben Haus im ersten Stock wird Richard Graubart brutal von hinten erstochen. Frau und Kind werden in ein Zimmer gesperrt. Die Mörder plündern anschließend die Wohnung.

In den Briefen der Familie Krieser sind die Ereignisse jener Nacht festgehalten.

Mutter Fanny an Ernerl, 13. Nov. 1938
Erschrick nicht mein Kind, wir sind alle hier und gesund. Bei unseren Freunden ist es leider nicht so und wir sind alle in großer Trauer. Gott gäbe, dass es der Opfer nunmehr genug sein möge.

Die Täter des Innsbrucker Pogroms werden nie richtig zur Verantwortung gezogen.

Für Schäden mussten Juden selbst aufkommen

Die Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung verursachen in Innsbruck einen Schaden von 200.000 Reichsmark. Wiedergutmachung hat es dafür freilich nicht gegeben - ganz im Gegenteil. Die Betroffenen mussten selbst für die Schäden aufkommen und dann wurden sogar noch Strafzahlungen verhängt.

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Ernerl bleibt die einzige Überlebende

Wie alle anderen Juden musste auch die Familie Krieser aus Tirol wegziehen. Ernerl gelingt es, nach Palästina zu flüchten. Der Rest der Familie will nach England oder Frankreich ausreisen.

Szene der Pogromnacht Innsbruck

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Ernerl gelingt die Flucht nach Palästina. Sie ist aber die einzige Überlebender ihrer Familie.

Schwester Käthe an Ernerl Weihnachten 1938
Gott gebe, dass auch wir „liebstes Ernerl“ das gewünschte Ziel bald vor Augen haben können und wir uns dann nie mehr zu trennen brauchen.

Käthe stirbt im Ghetto Lodz. Die Eltern werden im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht. Ernerl lernt in Israel einen Mann kennen und heiratet. Sie bekommt zwei Töchter und stirbt 1994. Ihre Enkel haben den ausführlichen Briefwechsel von damals nun den Innsbrucker Historikern zur Verfügung gestellt.