Russen in Südtirol im Fußballfieber
Zaren schlagen Pharaonen: Der 3:1-Sieg der russischen Nationalelf am Dienstag gegen Ägypten verleiht auch den Russlandfans in Südtiorl Flügel. In einer Bozner Bar, die von Russen betrieben wird und wo Fußball zur Zeit der Gesprächsstoff ist, macht Barkeeperin Nadiya Tsurkan schon mal ein Foto vom aktuellen WM-Fußball. In diesem Mini-Russland ist der Glaube an die Sbornaja unerschütterlich. „Wir Russen sind zäher und kühner als andere Völker“, ist Nadja überzeugt, „ich hoffe, dass wir gewinnen. Das wäre eine große Sache für Russland.“
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Auch die russische Meranerin Polina Pruss entbrennt im WM-Fieber - noch dazu, weil sie derzeit in Moskau arbeitet. „Die Stimmung ist unbeschreiblich, es wird seit einer Woche jeden Tag gefeiert“, berichtet Polina Pruss aus der russischen Hauptstadt. „Die Straßen im Zentrum sind von früh bis spät voller Fans. Moskau ist nicht wiederzuerkennen. Am Dienstag hat die ganze Stadt gefeiert, als hätten wir die WM gewonnen.“
Fußballspiele im Schnee
Polinas Vater, Andrey Pruss, ist ebenfalls Fußballfan: „Unsere Mannschaft musste sich viele Witze und viel Kritik gefallen lassen, aber jetzt bei der WM spielt sie motiviert und konzentriert. Das letzte Spiel haben wir mit zwei anderen russischen Familien in Meran gemeinsam angeschaut und mitgefiebert,“ berichtet Pruss von der russischen Gemeinde Merans.
In seiner Heimat ist Fußball ein beliebter Sport, erzählt Andrey Pruss. „Viele denken bei Russland ja eher an Wintersport, weil wir so viel Schnee haben, aber wir lieben Fußball und spielen dann eben auch im Schnee. Es gibt sogar eigene Schuhe dafür.“
Sport und Politik
WM-Gastgeber Russland hat nicht gekleckert, sondern geklotzt: die WM verschlingt Unsummen und ist gleichzeit Politik und Wirtschaft. Das weiß auch Moskaus Wirtschaftsminister. Der war am Dienstag im NOI-Techpark in Bozen zu Besuch. Auch hier prägte König - oder besser gesagt - Zar Fußball die Gespräche.
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„Ich rede derzeit wirklich gern über Fußball“, sagt Sergey E. Cheremin, der als Minister der Metropolregion Moskau für die wirtschaftlichen Beziehungen zuständig ist. „Die WM ist ja nicht nur in Moskau, sie prägt elf Städte der Russischen Föderation. Sie hat der Infrastruktur in unserem Land einen gewaltigen Aufschwung gebracht, wir haben neue Stadien, Flughäfen, Schnellstraßen oder Zugstrecken gebaut. Aber vor allem ist die Weltmeisterschaft jetzt ein Riesenfest der Nationen.“
„Vodka wäre kein Trost“
Egal, wie viel Putins Staat in seine Mannschaft investiert hat - im Achtelfinale muss sie voraussichtlich entweder gegen Spanien oder gegen Portugal aufs Spielfeld. In diesem Fall sieht Andrey Pruss aus Meran schwarz für seine Sbornaja. Bei einem Ausscheiden seiner Mannschaft würde er sich aber nicht mit Vodka trösten: „Nein, Vodka wäre kein Trost. Den würden wir nicht trinken, oder höchstens ein wenig. Um uns zu trösten, würden wir singen!“
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In Meran, wo es seit dem späten 19. Jahrhundert eine russische Community gibt, erhält das Zwiebeltürmchen dieser Tage also mächtig Konkurrenz. Im Notfall hoffen Südtirols Russlandfans dabei auf göttlichen Beistand. Der soll viele Tore bringen - und die Gewissheit, dass in ihrer Mannschaft mehr steckt, als bis vor der WM vermutet wurde.