Alternativer Tourismus: Ein Dorf wird zum Hotel

Im Südtiroler Ort Neumarkt werden die Weichen für ein neues Beherbungskonzept gestellt. Es sollen keine neuen Hotels gebaut, sondern Gebäude im historischen Zentrum renoviert werden. Die Hotelgäste werden übers Dorf verstreut.

Leben wie die Dorfbewohner, in einem Zimmer oder Appartement mitten im historischen Ortskern, ohne auf die Bequemlichkeiten eines Hotelservices verzichten zu müssen: Das ist das Konzept des sogenannten „albergo diffuso“, begründet in Italien. Auf Deutsch bedeutet das „verstreutes Hotel“. Gäste werden nicht in neuen Hotelanlagen untergebracht. Sie leben in bislang leerstehenden Räumlichkeiten im Dorfzentrum, die dafür renoviert werden. So liegen die „Hotelzimmer“ im Umkreis von einigen hundert Metern. Es gibt eine zentrale Rezeption, der Betrieb wird von einem einzigen Management geführt.

Die Fußgängerzone mit Lauben in Neumarkt bei Sonnenschein, mehrere Leute sind unterwegs

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Neumarkt möchte in seinem historischen Zentrum Hotelgäste „verstreuen“

Tourismus sanft beleben

Neumarkt im Südtiroler Unterland möchte auch ein solches „verstreutes Hoteldorf“ werden. Der 5.000-Einwohnerort liegt rund 25 Kilometer südlich von Bozen. Während Südtiroler Wintersportdestinationen wie Corvara rund eine Million Nächtigungen pro Jahr verbuchen, kommt Neumarkt auf gerade 28.000. Bürgermeister Horst Pichler will den Tourismus beleben, aber sanft. So kam er auf das alternative Beherbergungskonzept.

In Neumarkt gibt es einen mittelalterlichen Ortskern mit malerischen Lauben, aber dort stehen viele Gebäude leer. Das sind ideale Voraussetzungen für ein „albergo diffuso“, findet nicht nur der Bürgermeister, sondern auch der Begründer des Beherbergungskonzepts „Albergo diffuso“. Giancarlo Dall’Ara hat sich in Neumarkt umgesehen. „Der Ort ist prädestiniert für das Modell“, sagt der Präsident der italienischen Vereinigung „Alberghi diffusi“.

Hauseingang unter den Lauben

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Die Gäste könnten mitten unter den Lauben in renovierten Gebäuden leben

Konzept „made in Italy“

Das erste „albergo diffuso“ ist 1982 im Friaul im Nordosten Italiens entstanden. Dort gab es viele alte Dörfer mit bildschönem Ortskern, die aber aufgrund von Landflucht verlassen und renovierungsbedürftig waren. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diese Form der Beherbergung wurden nach und nach geschaffen, mittlerweile sind in über 100 italienischen Orten solche Satellitenhotels zu finden. Auch in Kroatien und Slowenien gibt es Angebote.

Der Gast wird bei dieser Form des Tourismus quasi zum Einwohner der Dorfes, lebt Seite an Seite mit den Einheimischen. Für diese wiederum bietet das Beherbergungskonzept eine Verdienstmöglichkeit, ohne dass aufwändige Neubauten notwendig werden. Noch sind die Neumarkter auf ihrem Markt eher unter sich, vielleicht werden sich künftig die besonderen Hotelgäste unter sie mischen.

Markt in Neumarkt, Leute stehen um Obst- und Gemüsestand

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Gäste des „albergo diffuso“ sollten sich wie echte Dorfbewohner fühlen

Interesse und Skepsis bei den Neumarktern

Das Interesse der Neumarkter am „albergo diffuso“ ist groß. Am Donnerstag gab es einen Informationsabend für interessierte Private, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnten. Voraussetzung ist, dass die Räumlichkeit alt oder zumindest ortstypisch ist. Der Andrang war groß.

Auch Franz Steiner hätte ein altes Gebäude im Neumarkter Ortszentrum, darin war früher das Gericht untergebracht. Der Neumarkter findet das Konzept interessant, ihn schrecken aber die hohen Investitionskosten ab. 200.000 Euro müsste er in sein Palais stecken, um es für Gäste zu adaptieren. Andere Besitzer sehen das ähnlich.

Die Gemeinde hat jedenfalls bereits die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen und auch schon Architekten beauftragt, um die Möglichkeiten auszuloten. Das Dorf würde mit diesem Tourismuskonzept neu aufblühen, meint der Bürgermeister. Der Tourismus würde aufleben, aber eben sanft und leise, wie es sich die Neumarkter wünschen.

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