Ärzte ziehen erste Bilanz über Job-Sharing

Wenige Ärzte nutzen die Möglichkeit, sich einen Kassenvertrag zu teilen. Die Stärken des Modells: mehr Freizeit und kein Werben um Patienten. Die Schwächen: wenig Verdienst und kaum Zeit für die Kranken. Vier Kassenärzte ziehen Bilanz.

Die Teilung eines Kassenvertrags hat z.B. in Rattenberg zu einer gelungenen Nachbesetzung eines altgedienten Allgemeinmediziners beigetragen. Drei Jahre lang war die Kassenstelle im Verhältnis 60:40 aufgeteilt, den Juniorpart übernahm dabei eine junge Ärztin nach abgeschlossenem Turnus. Ziel der befristeten Vertragsteilung war die Vorbereitung der Übernahme der Praxis.

Arzt und Ärztin vor Röntgenbild; geteilte Kassenstelle

ORF

Er hat klinische Erfahrung, sie übernimmt die Praxis: ein Übergabemodell

Peter Erhart hatte nach rund 35 Jahren allein in der Praxis genug von zwölf- bis 14-Stunden-Arbeitstagen. Die Stellenteilung ermöglichte ihm, am Nachmittag z.B. für zwei Stunden Besorgungen zu machen oder einen Tag frei zu nehmen, ohne Urlaub anzumelden.

Der Allgemeinmediziner, der in seiner Ordination mit modernen Röntgen- und Ultraschallgeräten ausgestattet ist, verfügt über breite klinische Erfahrung, führt Unfallversorgungen, Vorsorge- und gynäkologische Untersuchungen durch. Abgesehen von der zeitlichen Entlastung schätzt Peter Erhart auch die Selbstreflexion, die sich durch eine zweite Ärztin in der Praxis ergab. „Ich musste hinterfragen, ob das, was ich da mache, noch dem heutigen Stand der Wissenschaft entspricht. Aus dem Weitergeben von Wissen ergibt sich zwangsläufig, dass ich das eigene Tun in Frage stellen muss. Und das ist positiv!“

Erst nach und nach von Patienten akzeptiert

Dass sie am breiten Wissen des erfahrenen Arztes teilhaben konnte, war für Julia Staudacher einer der Vorteile des geteilten Kassenvertrages. Nach dem Turnus an einer Krankenhaus-Unfallchirurgie blieb ihr damit der Sprung ins kalte Wasser der Allgemeinmedizin erspart. Auch ihrem Verhältnis zu den Patienten kam das Job-Sharing zugute. „Viele Patienten haben mir anfangs nur vertraut, wenn Dr. Erhart meine Behandlungsvorschläge gutgeheißen hat“, berichtet Staudacher. Das Modell eines geteilten Kassenvertrags ist für die junge Ärztin auch für später eine Option, um Beruf und Familie zu vereinbaren.

Seit Jahresbeginn hat Staudacher den Kassenvertrag jetzt allein. Ihr Vorgänger darf in seiner ehemaligen Praxis auf Wahlarztbasis ordinieren, er hat seiner Nachfolgerin mit der Praxis und ihrer Einrichtung auch alle modernen Geräte geschenkt. Im Gegenzug übernahm sie die Abfertigungsansprüche der Mitarbeiterinnen.

Vom Wahlarzt zum geteilten Kassenvertrag

Den Weg vom freien Unternehmer zum „Halbtags-Kassenarzt“ beschritten die Orthopäden Roland Wachter und Peter Winter in Wörgl. Nachdem sie sieben Jahre lang gemeinsam eine Wahlarztpraxis geführt hatten, teilen sie sich seit kurzem eine Facharztstelle für Orthopädie. Der Kassenvertrag machte die ständige Aquise von Kunden überflüssig, was die Ärzte entlastet: die Patienten kommen automatisch, das unternehmerische Risiko hat sich verringert.

Arzt-Rezeptionistin mit zwei orthopädischen Fachärzten

ORF

Keiner lebt von einer halben Kassenstelle, beide brauchen einen Nebenerwerb

Als Behinderung empfinden die zwei Fachärzte die strengen Beschränkungen der Gebietskrankenkassen-Leistungen: Egal, ob Ultraschall, Chirotherapie, vertieftes diagnostisch-therapeutisches Gespräch, vergütet wird nur ein Bruchteil der Behandlungen. „Es ist eigentlich nicht verständlich“, sagt Peter Winter, „wenn ich einen Patienten mit zwei geschwollenen Knien an beiden Knien punktiere, warum ich dann nur eines bezahlt bekomme.“

Durch die zahlreichen Limitierungen müssten Patienten schneller behandelt werden, um ein angemessenes Einkommen zu erreichen, gleichzeitig sei auch die Zahl der „erlaubten“ Patienten von der Kasse begrenzt. Obwohl man sich mit dem Honorarsystem der Gebietskrankenkasse vor der Umstellung vom Wahlarzt zum Kassenarzt intensiv befasst habe, falle das Einkommen niedriger aus als zuvor kalkuliert.

Kein Überleben ohne Nebenjob

Die Teilung eines Kassenvertrags auf zwei Ärzte macht ohnehin ein Nebeneinkommen notwendig. Beide Orthopäden sind – außerhalb ihrer Ordination – für 18 Stunden angestellt, Peter Winter in der Reha-Klinik in Häring, Roland Wachter bei der PVA. Unterm Strich ergebe sich eine Wochenarbeitszeit von ca. 50, 60 Stunden, sagt Dr. Winter, das sei weniger als früher. OP-Vorbereitungen seien vom Wochenende auf Werktage umgeschichtet worden, „heute sind wenigstens die Wochenenden entspannter“.

Die bisherige Bilanz der zwei Orthopäden: Etwas mehr Freizeit und weniger unternehmerisches Risiko stehen Einkommenseinbußen und weniger Zeit für den einzelnen Patienten gegenüber. Ob sie den Kassenvertrag langfristig behalten oder nach sieben Jahren wieder eine Wahlarztpraxis führen wollen, lassen Dr. Winter und Dr. Wachter derzeit noch offen.

Nicht alle Formen für Ärzte praktikabel

Die Tiroler Gebietskrankenkasse bietet seit Sommer 2016 unterschiedliche Formen der ärztlichen Zusammenarbeit an. Neben der Teilung einer Kassenstelle kann ein Arzt sich auch von einem anderen vertreten lassen oder als Ärzte-Gesellschaft eine Gruppenpraxis gründen. Insgesamt 22 Ärzte und Ärztinnen arbeiten in den unterschiedlichen Modellen. Am wenigsten in Anspruch genommen werde laut Ärztekammer die GmbH: Neben dem erforderlichen hohen Gründungskapital seien die notwendigen Umsätze in der Höhe von 1 Mio. Euro kaum zu erzielen.

Ulrike Finkenstedt, tirol.orf.at